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Faszination Polaroid

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Von Andy Warhol über Julian Schnabel bis zu Instagram und Impossible.

Seit einigen Jahren zeichnet sich eine erstaunliche Entwicklung ab: Im digitalen Zeitalter ist das längst totgeglaubte Polaroid wieder auf dem Vormarsch. Das Impossible Project hat 2008 die letzte Polaroid-Produktionsstätte übernommen und entwickelt neuen Polaroidfilm. Zeitgleich werden die sozialen Netzwerke von Retro-Apps überflutet: Instagram, Retromatic oder Polarize überführen die spezielle Ästhetik des Polaroids, seine verblichene Farbigkeit und den typischen weißen Rahmen ins digitale Format. Anlass genug, einmal den Eigenheiten des Polaroids nachzuspüren und einige Künstler vorzustellen, die Polaroid-Bilder verwenden.

Polaroids in der Kunst
Ende der 1940er Jahre entwickelte das Team um Edwin Land die Polaroid Kamera, wenig später wurde der Grundstein gelegt für eine Langzeit-Liaison mit der Kunst: Die Polaroid Corporation stellte Künstlern Film und Kamera zur Verfügung und baute im Gegenzug eine fantastische Sammlung auf. 2012 waren Teile dieser Kollektion im NRW Forum zu sehen. Der umfangreiche Katalog zur Ausstellung „From Polaroid to Impossible“ zeigt ein Kaleidoskop von Sofortbildern von Ansel Adams über Robert Mapplethorpe bis zu Andy Warhol. Polaroids sind eigene Kunstwerke, dokumentieren Leben und Werk eines Fotografen oder dienen als Vorlagen und Studien – in jedem Falle schien das Sofortbild fast überall dabei zu sein.

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Andy Warhol – Polaroids. Celebrities and Self-Portraits – 2010 (Innenansicht)

Andy Warhol war einer der ersten, der mit Polaroids zu experimentieren begann. Das Buch „Polaroids. Celebrities and Self-Portraits“ zeigt eine Auswahl von Porträts aus den 1970ern und 1980ern, in denen die Magie des Polaroid Prozesses nachhallt. Der Auslöser wird gedrückt, es klackt, es surrt, man wedelt, langsam entsteht das Bild, während alle zuschauen. Der weiße Rahmen weist auch hinterher stets aus: Ich war da, dieses Bild ist echt. Die Bilder erinnern an Porträts aus dem Passfotoautomaten, gleichzeitig legt die besondere Ästhetik einen verfremdenden Schleier über die Wirklichkeit, der den Portraitierten gewisse Freiheiten einräumt{1}: Man posiert, verkleidet und erprobt sich, wie Warhol, der sich über die Jahre mit Perücke oder als Drag-Queen porträtiert. Nicht weniger kurios tritt dieses Spiel mit Identitäten in der Zusammenstellung Warhol’s Queens hervor, die Polaroid-Porträts von echten Königinnen und Drag-Queens in einen spannenden Dialog bringt. Einen kompletten Überblick zu Warhols Polaroids gibt das frisch bei Taschen erschienene Buch „Andy Warhol – Polaroids 1958-1987“. Das Buch ist schön aufgebaut, man klappt den Deckel erst nach rechts, dann nach links auf und hat dann alle Bilder in der Mitte. Und die haben es in sich: Warhol trug die Polaroid Kamera immer in der Tasche, sie war auf jeder Party dabei, lieferte Vorskizzen für Kunstwerke und dokumentierte das High Life in New York.

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Andy Warhol – Polaroids – 2015 by TASCHEN, hrsg. von Richard B. Woodward, Reuel Golden, Hardcover, 560 Seiten; Bild © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc.

Andy Warhol – Polaroids – 2015 (geöffnet) © TASCHEN

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Andy Warhol – Polaroids – 2015 (geöffnet) © TASCHEN

Steht Warhol explizit für einen spielerischen Umgang mit dem Sofortbild-Material, so sind Julian Schnabels Bilder aus einem anderen Grund faszinierend: Seit 2002 hat der Maler und Filmemacher mit einer seltenen Großformat-Polaroid-Kamera auf Rollen aus den 1970er Jahren seine Umgebung in 50,8 x 60,96 cm großen Sofortbildern festgehalten. Eine Auswahl präsentiert das Buch „Julian Schnabel – Polaroids“: Mickey Rourke mit Cowboyhut oder Boxhandschuhen, Takashi Mourakami, so überbelichtet, dass er fast verschwindet oder Lou Reed, Mitbegründer der Band Velvet Underground, mit silbernem Schwert. Aber auch Bilder aus Schnabels Studios in Brooklyn, Montauk oder Manhattan, die seine skulpturalen Arbeiten und von ihm designte Räume zeigen, manchmal erneut mit Pinselstrichen übermalt. Kaum mag man glauben, dass es sich bei diesem poetisch-persönlichen Porträt um aktuelle Bilder handelt, der Blick ins Buch erscheint vielmehr wie eine Zeitreise in die 1970er Jahre.

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Julian Schnabel – Polaroids – 2010

Polaroids 2.0 – analoge Träume in digitalen Welten
Dieses Potential des Polaroids, die Gegenwart nostalgisch zu transformieren, spielt dem aktuellen Comeback des analogen Sofortbilds in die Hände. Hinzu kommt, dass die Bilder einen gewissen Kultstatus des kreativen self-made Man ausstrahlen. Wie der amerikanische Blogger Christopher Bonanos betont, war die Polaroid Firma früher, was Apple jetzt ist. In den digitalen Polaroidfiltern, die heute in sozialen Netzwerken kursieren, mischen sich Hipster-Attitude und visuelle Nostalgie dezent mit dem Wunsch nach Authentizität – der, passend zur Zeit des Fake – dann doch als falscher Überzug daher kommt. Zeitgleich jedoch entdeckt eine jüngere Künstlergeneration das echte Sofortbild wieder: Cathleen Naundorf inszeniert mit Sofortbildern im Großbildformat Haute Couture während Stefanie Schneider abgelaufenen Polaroidfilm verwendet, um in Kalifornien melancholisch abgefahrene Selbstportraits mit orangener Perücke zu inszenieren und erste Polaroid Feature Filme zu kreieren. In Anlehnung an Tendenzen wie Slow Food oder Slow Travel könnte man sagen, entsteht hier Slow Art – man darf gespannt sein, was da noch kommt.

Bücher zum Thema

{1} Maren Polte: Taschenspielertricks. Skizzen eines flüchtigen Fotoautomaten / Die BfA in einer Polaroid-Reportage Stephan Erfurts, in: Meike Kröncke, Barbara Lauterbauch und Rolf F. Nohr (Hg.): Polaroid als Geste. Über die Gebrauchsweisen einer fotografischen Praxis, Ostfildern-Ruit 2005, S. 32–43, S. 35.

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