Die Liaison von fotografischen Bildern und Büchern ist nicht neu, jedoch erfreut sich das Fotobuch seit einiger Zeit einer neuen Popularität bei KünstlerInnen und SammlerInnen. Auch die Wissenschaft zieht nach. Wir sprechen mit Burcu Dogramaci, Professorin am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München, die kürzlich gemeinsam mit Désirée Düdder, Stefanie Dufhues, Maria Schindelegger und Anna Volz die Publikation „Gedruckt und erblättert. Das Fotobuch als Medium ästhetischer Artikulation seit den 1940er Jahren“ herausgegeben hat.
JS: 2014 haben Sie in München eine Tagung organisiert, zu der nun „Gedruckt und erblättert“ erschienen ist – ein Titel, in dem sowohl der Produktions- als auch der Rezeptionsprozess eines Fotobuchs anklingt. Mit welchem Anspruch tritt die Publikation auf, d.h. wie verortet sie sich innerhalb der Forschung zu Drucksachen und fotografischen Bildern?
BD: In der inzwischen prosperierenden Fotobuchforschung gibt es einen Schwerpunkt auf der Zwischenkriegszeit, was vermutlich einerseits mit dem Innovationsschub durch neue Kameratechnik und Printmöglichkeiten zu erklären ist. Andererseits faszinieren Neues Sehen und Neue Sachlichkeit auch viele ForscherInnen. Hier wollten wir einen alternativen Weg gehen und vor allem die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart in den Blick nehmen. Leitend war dabei der Ansatz, das Buch als Objekt ernst zu nehmen und die Fotografien im Kontext anderer Bilder und Texte zu untersuchen. Auch wollten wir Formate, Papiere, Verlage, Auflagen berücksichtigen, kurzum: Das Fotobuch ist eben nicht nur eine Unterart der Fotografie, sondern ein eigenes Genre, das besonderer Untersuchungsparameter bedarf, die eigentlich interdisziplinär erarbeitet werden sollten, denn es ist zugleich ein Text- und Bildmedium.
JS: Was ist das Besondere an dem von Ihnen gewählten Zeitrahmen seit den 1940er Jahren?
BD: Von der Gegenwart aus gesprochen (denn einige der Bücher datieren auf die jüngste Zeit) lässt sich postulieren, dass die Dekade des Digitalen neue Fragen hervorbringt nach Kooperationsmöglichkeiten wie Distributionsmodi. Auch das Thema der globalen Vernetzung, der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, der Relation von Peripherie und Zentrum sind eng an die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts geknüpft. Für einige Fotobücher ist der Zweite Weltkrieg eine wichtige Referenz, andere befassen sich mit der politischen und territorialen Neuordnung nach 1945. Aber auch neue Gesellschaftsentwürfe und Erziehungsideale finden sich im Medium des Fotobuches wieder, so beispielsweise in „Manuel“ von Stefan Moses. Medientechniken wie das Fernsehen oder die Erweiterung des Kunstbegriffs seit den 1960er Jahren haben auch die Ästhetik und visuelle Sprache des Fotobuches verändert.
JS: Der Fotograf und Sammler Stefan Moses hat kürzlich dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München seine umfassende Fotobuchsammlung vermacht, eine wichtige Inspiration für Ihr Projekt. Sie haben für die Publikation ein Faxinterview mit ihm geführt – was kann eine Sammlung von Fotobüchern über das „Fotobuchsammleruniversum“ aussagen?
BD: Eine Bibliothek verweist in ihren Sammlungsschwerpunkten auf ihren Eigentümer, berichtet von Vorlieben, Obsessionen und Aversionen. Bezogen auf Stefan Moses haben wir festgestellt, dass sich viele Fotobücher mit Widmungen befreundeter oder bekannter Fotografen fanden. Somit konnten wir auf die sozialen und künstlerischen Netzwerke schließen, aber auch rekonstruieren, dass Moses intensiv an der Genese des Fotobuches in seiner Zeit teilnahm. Er hat nicht nur selbst Fotobuchgeschichte geschrieben (und schreibt sie mit aktuellen Publikationen weiter), sondern seine Bibliothek bildet auch einen aufschlussreichen Ausschnitt aus dem Kosmos Fotobuch ab. Somit sind Fotobuchsammlungen wie jene von Stefan Moses zugleich Fenster in eine Zeit als auch Abdrücke spezifischer Interessen.
JS: Was macht Ihrer Meinung nach ein gutes Fotobuch aus? Und welche Schwierigkeiten sehen Sie in der wissenschaftlichen Annäherung an Fotobücher?
BD: Ein gelungenes Fotobuch wird eine überzeugende Dramaturgie entwickeln, die sowohl die thematische und künstlerische Abfolge der Fotografien im Buch bestimmt, als auch das Verhältnis der Aufnahmen zur Seite und zum Text regelt. Ein sorgfältig ediertes Fotobuch wird die Typografie, Papier und Format mit derselben Hingebung behandeln wie die Fotografie. Ein Fotobuch funktioniert dann besonders gut, wenn es auf vielfältige Weise „lesbar“ und zu erblättern ist. Die Schwierigkeit liegt in der Herausforderung, stets das Fotobuch als Ganzes im Blick zu behalten. Denn die Analyse behandelt dann eben nicht nur das Einzelbild oder eine Serie, sondern einen in sich geschlossenen Fotobuchkörper: Fotobuchforschung ist ein Nachdenken über mehr als ein Bild in Gestalt eines Buches.
JS: Steffen Siegel stellt in seinem Beitrag Forderungen an eine zukünftige Fotobuch-Forschung, die sowohl in einer Revision des Fragenkatalogs als auch in einer Reflexion der Methoden, etwa der Zugänglichkeit und Repräsentierbarkeit des Analysematerials bestehen. Inwiefern lösen die Beiträge des Bandes diese Ideen ein?
BD: Das kann und möchte ich so nicht beantworten, da jede Autorin und jeder Autor im Buch einem individuellen Forschungsweg folgt. Ich sehe Steffen Siegels wichtigen Grundsatztext eher als zukunftsgewandte Reflexion über das Potenzial einer progressiven Fotobuchforschung, die sich erst entwickeln muss. In unserem Buch, das wir als einen Aufschlag unter einigen anderen Büchern sehen, legten wir Wert auf sorgfältige Analysen und objektsensible Herangehensweisen. Dies zeigt sich auch in den Abbildungen des Buches, die vor allem die Seite oder Doppelseite in den Blick nehmen. Es ist der Publikationsgattung Sammelband zu eigen, dass die Auswahl weder repräsentativ noch kanonisch zu verstehen ist.
JS: Gibt es Pläne, die Fotobuch-Forschung auch künftig an der LMU zu verankern?
BD: Noch gibt es keine konkreten Pläne, eine systematische Verankerung der Fotobuchforschung zu versuchen. Aber die Zusammenarbeit in unserem Projektteam und mit meinen Doktorandinnen gelang so gut, dass ich mir weitere gemeinsame Projekte sehr gut vorstellen könnte. Es stimmt mich sehr froh zu wissen, dass da gerade eine ambitionierte Generation an jungen WissenschaftlerInnen heranwächst, die sich der Aufgabe Foto- und Fotobuchforschung auf ganz neue Weise annehmen wird.
JS: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Burcu Dogramaci, Désirée Düdder, Stefanie Dufhues, Maria Schindelegger & Anna Volz (Hrsg.): GEDRUCKT UND ERBLÄTTERT. Das Fotobuch als Medium ästhetischer Artikulation seit den 1940er Jahren. Köln: Verlag Walther König 2015 (Schriftenreihe des Studienzentrums zur Moderne – Bibliothek Herzog Franz von Bayern am Zentralinstitut für Kunstgeschichte, 3) – 280 Seiten mit 34 farbigen Abbildungen
Gibt es auch hier bei artbooksonline.eu
Titelfoto: Simone Scardovelli