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Book Sites. Teil 3 – Gefragt und Gesagt. Schriften und Interviews von Lawrence Weiner 1968-2003

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Gesammelte Schriften und Collected Writings – Texte und Interviews.

Bei dem Versuch, über die Schriften von Lawrence Weiner eine Aussage zu treffen, ergeben sich gleich mehrere Schwierigkeiten. Mal davon abgesehen, dass er seit 1968 (fast) sein gesamtes Werk sprachlich formuliert, betont er seitdem vehement, dass die Sprache sein Material sei und die spätere Ausführung des Werks – die eigentliche Materialisierung – vollkommen unwichtig. So betrachtet könnten alle seine Worte Kunst sein; jedes hat zumindest potenziell die Möglichkeit dazu.

Der als einer der radikalsten Konzeptkünstler bekannte Weiner nennt sich dem folgend einen Materialisten. Noch so ein Widerspruch, steht bei der Konzeptkunst doch die „Entmaterialisierung“ als ein Schlüsselereignis. Der Sprache wird nicht der Geist des Immateriellen zugeschrieben, sondern sie ist der Gegenstand mit dem er arbeitet. In der Praxis sind die zumeist existenz-philosophischen, zuweilen aber auch tautologisch-lakonischen und manchmal einfach nur „platten“ Aphorismen gut als Kunstwerke zu identifizieren – die Weiner-Typographie ist in ihren Versalien unverkennbar.

Lawrence Weiner – Gefragt & gesagt, Stuttgart 2005, S. 22/23.

Eine weitere Besonderheit ist Weiners Absichtserklärung (Statement of Intent). Während im ersten Teil dieser Book-Sites Reihe noch dafür plädiert wurde, nicht immer wieder ein und denselben Satz für einen Künstler zu benutzen, sondern seine gesamten Schriften einzubeziehen, ist es bei Weiner ein Abschnitt, der alles zu erklären scheint. Seine Absichtserklärung, diese fünf kondensierten Zeilen künstlerischen Schaffens, werden seit 1969 immer wieder abgedruckt. (Abb. S. 22)
Revolutionär sind zwei Punkte: Zum einen wird die Ausführung dem Empfänger übertragen, was (vermeintlich) eine Machtposition bei der Umsetzung verspricht. Zum anderen stellt Weiner alles in seine Absicht; wodurch er als Erschaffer nicht übervorteilt werden kann, egal was passiert.

Die Erfolgsgeschichte dieses Statements ließ sogar zahlreiche Variationen der Absichtserklärung entstehen, teilweise nur marginal verändert und an den Kontext der jeweiligen Publikation angepasst. Dies ging so weit, dass es die Absichtserklärung [Aber können sie einen Kirschkuchen backen] gibt. (Abb. 327). Offenkundig sich selber nicht zu ernst nehmend und der ständigen Wiederholung überdrüssig, wendet sich Weiner damit also den wirklich wichtigen Fragen in seinem künstlerischen (Kurz-)Manifest zu.

Lawrence Weiner – Gefragt & gesagt, Stuttgart 2005, S. 326/327.

Viel entscheidender als Weiners Absichtserklärung ist jedoch seine Kontext-, Metapher- und Objekt-Auffassung von Kunst, die sich mittels der Gesammelten Schriften entfaltet. Die Erläuterungen, die in den Interviews, Symposien, Gesprächen und Texten immer wieder zu finden sind, können als seine Book-Site verstanden werden. Denn hier gibt es den tiefsten Einblick in sein ästhetisches Konzept – weitaus mehr, als in der X-ten Wiederholung des fünfzeiligen Statements of Intent.

Weiner zeigt sich dabei als Korrelationist. Kunst ist für ihn „die Beziehung von Gegenständen zum Menschen“ oder „von Gegenständen zu anderen Gegenständen, zum Menschen“. (S. 345) Der Korrelationismus wird beim Bezug auf das Subjekt deutlich. Ein Objekt alleine ist nicht die Kunst, sondern erst wenn die Aneignung durch den Menschen passiert. Weiner ist sehr von einer kantischen Denkweise geprägt. Da er allerdings, ebenso wie viele weitere Künstler und Künstlerinnen seiner Generation, institutionsreflexiv arbeitet, kommt es zur Erweiterung auf den Ausstellungskontext. Alle übrigen Gegenstände müssen in die Gleichung Kunst mit aufgenommen werden. Aber auch bei der Beziehung von Kunstwerken zueinander ist der Kunstgehalt die Erfahrung des Menschen, sein Bezug auf die Objekte. Gesehen wird aber kein „Bild aus Schrift“, sondern eine „Skulptur aus Material“, die sich aus den Buchstaben und der Umgebung zusammensetzt.

Weiner sieht es dabei als ultimativen Vorteil an, dass seine Arbeiten immer in einen zeitgenössischen Kontext gestellt werden können. Leicht auszuführen und vom Untergrund variabel, sind sie nicht an „alte Videogeräte oder alte[n] Stein einer Marmorskulptur“ gebunden. Aus demselben Grund lehnt er auch bestimmte Typographien bei der Ausführung ab, da diese zu schnell für eine bestimmte Zeit stehen könnten.

Die Book-Sites in Lawrence Weiners Gesammelten Schriften geben einen ganzheitlicheren Blick auf seine ästhetische Praxis. Seine teilweise homogen wirkenden Kunstwerke werden von einem Unterbau getragen, der ausdifferenziert ist. Dabei scheint es so, als würde er nicht zwischen unterschiedlichen Sichtweisen abwägen, sondern hätte seine Haltung gegen Ende der 1960er Jahre definiert und seitdem behände verästelt. Die Podiumsdiskussionen, Interviews, Gespräche und Symposien im Buch ergeben ein exaktes Bild. Zudem äußert sich Weiner zu Themen, die über Kunstwerke hinausgehen: gesellschaftliche Prozesse, Ökonomie, Spiritualität, die globale Weltordnung – seine Reflexionen sind weit gefasst.

Lawrence Weiner – Gefragt & gesagt, Stuttgart 2005, S. 38/39.

Auf Seite 38 findet man beispielsweise eine seiner Anleitungen, wie das Kunstwerk „transportiert“ wird. (Abb. S. 38) Das Werk OBSTRUCTED wurde 1970 in der Gruppenausstellung Art in the Mind im Allen Memorial Art Museum in Oberlin Ohio gezeigt. Es ist lediglich ein Brief. In ihm ist der Hinweis zu sehen, dass dieses Kunstwerk öffentliches Eigentum ist (Collection – Public Freehold), und nach der obligatorischen Absichtserklärung gibt es noch die Legitimation des Künstlers, die Arbeit tatsächlich nach eigenem Gutdünken auszuführen. Denn die jeweilige Realisation wird nicht darstellen „wie die Arbeit aussieht, sondern nur, wie sie aussehen kann.“

Die vielen Erläuterungen oder Stellungnahmen, die in den Gesammelten Schriften aufgeführt wurden, sind wie Weiners Kunstwerke in Versalien gehalten. Weiner hat auf Anfrage für Ausstellungskataloge oder Kunstzeitschriften dutzende Texte zu den unterschiedlichsten Themen verfasst. Vor dem Hintergrund, dass ihr Abdruck einen neuen Kontext herstellt und jede Ausführung nicht zeigt, wie die Arbeit aussieht, sondern wie sie aussehen könnte, ist es da legitim, in diesem Fall von Kunst zu sprechen? Mit Blick auf Seite 258 lässt sich die Überlegung präzisieren. (Abb. S. 258) Sein Beitrag zu der Publikation eines Symposiums findet sich im Buch wieder, er wurde für den neuen Kontext ausgeführt und kann vom Leser oder der Leserin als „empirische Tatsache“ angeeignet werden. Nimmt man Weiner wörtlich, so ist es Kunst. Vielleicht ist es aber auch nur der Zusammenfall von „secondary and primary information“, wie Seth Siegelaub es 1969 formulierte – also, wenn Konzeptkunst abgedruckt wird, und somit ihre Dokumentation und das eigentliche Werk zusammenfallen.

Lawrence Weiner – Gefragt & gesagt, Stuttgart 2005, S. 258/259.

Diese paradoxen Situationen werden bewusst herbeigeführt, um den Status des Kunstwerks zu hinterfragen, soviel scheint nach der Lektüre sicher. Weiner hat ein für seine Ästhetik kongruentes System erschaffen, welches nicht ohne Widersprüche und Veränderungen ist – im Kern aber einen bemerkenswert konsistenten roten Faden hat. Da er allerdings weiterhin mit Sprache, beziehungsweise Material, arbeitet, darf man auch auf die Fortsetzung der Gesammelten Schriften warten.

Dieser Beitrag ist Teil der Reihe Book Sites. Hier geht es zu Teil 1 (Prolog) und zu Teil 2 (Robert Smithson).


Lawrence Weiner – Gefragt & gesagt. Schriften & Interviews von Lawrence Weiner 1968-2003, hrsg. von Gerti Fietzek, Gregor Stemmrich, Stuttgart 2005.
ISBN 978-3-7757-9193-9

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