Gesammelte Schriften und Collected Writings – Texte und Interviews.
Robert Smithsons Gesammelte Schriften zeigen seine ungemein vielfältigen Wissen- und Interessengebiete. Er war ein Künstler, der, würde man nur von den Kunstwerken ausgehen, wohl hauptsächlich im Dreck gewütet zu haben scheint. Das diese Sichtweise falsch ist, zeigt sich an seinen Schriften. Trotz seines frühen Unfalltodes im Jahr 1973 mit gerade einmal 35 Jahren, hat die deutsche Ausgabe der Gesammelten Schriften aus dem Jahr 2000 über 350 Seiten im DinA4-Format.
Enthalten sind seine Texte, die chronologisch von 1962 bis 1973 angeordnet sind, sowie einige Gespräche und Interviews. Für die englische Originalausgabe aus dem Jahr 1979 wurden alle seine Artikel für diverse Kunstzeitschriften – besonders in den frühen Jahren war Smithson ein Chronist der jungen Kunstszene in New York – und Beiträge für die eigenen Ausstellungskataloge sowie unveröffentlichte Schriften zusammengetragen. Sie diente auch als Grundlage für die deutsche Übersetzung.
Schon früh wurden die Texte mit seinem künstlerischen Œuvre assoziiert – nur bei wenigen Künstlern ist die Verbindung von bildnerischen und schriftlichen Erzeugnissen so prägnant wie bei Smithson. Seine Sites und Non-Sites würde man auf gänzlich andere Weise betrachten, hätten sie nicht die mannigfaltigen schriftlichen Erzeugnisse, die ich hier Book-Sites nennen möchte, als Legitimation. Dazu passt, dass im Anhang ein Inventar von Smithsons Bibliothek zu finden ist, die nach seinem Tod katalogisiert wurde.
Diese Bibliothek ist mit über 1000 Titeln nicht nur umfangreich, sondern betont darüber hinaus mit Kategorien wie Ästhetik, Psychologie, Religion, Ökonomie, Wissenschaft, Anthropologie und Philosophie, unmissverständlich seine Bildung. Die Botschaft ist eindeutig: Alles was Herr Smithson macht, ist zutiefst fundiert. Und genauso sind auch seine Schriften: In ihnen finden sich einige der klügsten Gedanken, die ein Künstler je zu Papier gebracht hat. Pierre Bourdieu würde das Phänomen vermutlich folgendermaßen erklären: Da Smithson die Speerspitze einer neuen Kunst, der Land Art war, musste er die ästhetische Theorie zu seiner Praxis mitliefern, damit sie in das Feld der legitimen Kultur aufgenommen werden konnte, ansonsten wäre sie „vulgäre Praxis“ geblieben.
Darüber hinaus sollte ebenfalls bedacht werden, dass die sechziger Jahre besonders in New York eine Zeit des strukturellen Umbruchs in der Kunst waren. Es etablierten sich immer mehr Galerien und Ausstellungshäuser und das kulturell interessierte Publikum wuchs beständig; in diesem Kontext entstand eine Generation von jungen Künstlern, die sich von den Heroen des abstrakten Expressionismus sowie von dem auf Autonomie und Medienspezifik beruhenden Kunstdiskurs emanzipieren wollten. Eine Situation, die Philipp Ursprung in seiner Studie Grenzen der Kunst, in der es unter anderem um Smithson geht, minutiös untersucht.
Zu den vermutlich wichtigsten Texten in Smithsons gesammelten Schriften kann Kulturelle Gefängnisse gezählt werden. Jene Abhandlung, die er im Jahr 1972 geschrieben hat und die nach seinem Boykott der Documenta 5 dennoch im Ausstellungskatalog abgedruckt wurde. Smithson sagte zusammen mit anderen Künstlern ab, da ihnen das von Harald Szeemann vorgeschriebene Konzept zu starr und einengend war – es wurde befürchtet, dass Szeemanns Sektionsaufteilungen die einzelnen Werke zu sehr fremdbestimmen würden. Und gleich der erste Satz von Smithson enthält seine Kritik in der Nussschale: „Es ist kulturelle Freiheitsberaubung, wenn ein Kurator einer Kunstaustellung seine Einschränkungen vorgibt.“ Nebenbei eine Bemerkung, die in Zeiten, in denen sogar Alltagssituationen „durchkuratiert“ werden, eine nicht unwesentliche Aufforderung zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Begriff und den Aufgaben des Kurators enthält.
Mittels des Schreibens, so lässt es Smithson den interessierten Leser wissen, entwickele er Ideen für seine Kunst. Die Book-Sites stehen demnach am Anfang des künstlerischen Prozesses oder initiieren ihn erst. Sie können aber zugleich auch die finale Form sein, zum Beispiel, wenn ein Werk nicht vollendet werden kann und es bei der Planung blieb. In diesem Fall ist das geschriebene Wort die einzige Verbindung zum gesamten künstlerischen Kosmos; gäbe es diese Aufzeichnung nicht, so könnten wir nicht nachvollziehen, was Robert Smithson wann bereits geplant hatte. Einen Künstler nur anhand seiner ausgeführten Arbeiten zu beurteilen, würde bedeuten, entscheidende, vielleicht die entscheidendsten Aspekte seines Schaffens zu verpassen.
Die Book-Sites können auch andersherum funktionieren: Ist ein Werk beispielsweise nicht auf Dauerhaftigkeit angelegt, oder nur erschwert zugänglich – für beides ist die Land Art prädestiniert – so ist die Dokumentation in schriftlicher Form samt Abbildungen die einzige Quelle ihrer (ehemaligen) Existenz. Ein ähnliches Spannungsfeld entsteht zwischen Performance-Kunst und fotografischen Aufzeichnungen von Aktionen.
So ist beispielsweise auf Seite 61 ein Werk zu finden, welches Smithson wahrscheinlich 1966 konzipierte und sich in seinem Nachlass befand. Es trägt den Titel Vorhersagbares Modell für ein unvorhersagbares Projekt und erscheint als optisches Gedicht aus Zahlenreihen in minimalistischer Ästhetik, verhandelt dabei aber ein existentielles Thema. Denn, obwohl das Modell einfach ist und sich rein logisch ergibt, bleibt der Ausgang offen: Zum einen, ob und wieweit die Zahlenreihen noch fortgesetzt werden können und zum anderen, da Smithson Ideen für seine Projekte aus der schriftlichen Arbeit generierte, welches Werk wohl aus diesem Blatt hervorgegangen wäre. Ein unrealisiertes Land Art Projekt mit der Bezeichnung Entwurf für Erdarbeiten und Landmarken an den Rändern des Regionalflughafens von Dallas – Fort Worth wird auf Seite 89 beschrieben. Das Konzept ist von 1967 und zeigt, dass Smithson bereits zu diesem Zeitpunkt monumentale Erdarbeiten geplant hatte, jedoch dauerte es noch bis 1969, bis er mit Asphalt Rundown sein erstes Projekt verwirklichen konnte. Auf den Seiten 144 bis 155 findet man die schriftliche und fotografische Dokumentation der Aktion Begebenheiten auf einer Spiegel-Reise in Yucatan, gegen Ende des Textes schreibt Smithson dazu: „Wenn jemand (was unwahrscheinlich ist) die Orte besucht, wird er nur Erinnerungsspuren finden, denn die Spiegel-Versetzungen wurden, nachdem sie fotografiert waren, sofort wieder abgebaut.“
Die Verbindung von Schrift und Werk als interpretatorisches und kontextualisierendes Angebot aufzufassen und auch zu nutzen ist demnach für das Verständnis von Smithsons Kunst zentral. Zugleich gilt es, die gesammelten Schriften eines Künstlers immer mit der gebotenen Vorsicht vor einer Monopolisierung oder Einengung zu rezipieren: Nur, weil jemand ein hervorragender Künstler ist, muss er nicht automatisch der geeignetste Impulsgeber für die diskursive Verortung seiner Kunst sein. Robert Smithson allerdings kam diesem seltenen Ideal verdächtig nah.
Dieser Beitrag setzt die Reihe der Book Sites fort – zur Einführung geht es hier.
Robert Smithson. Gesammelte Schriften, hrsg. von Eva Schmidt, Kai Vöckler, Köln 2000. ISBN 978-3-88375-388-1