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Monumente der Abwesenheit:
Fernando Botero

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DIE MALEREI FERNANDO BOTEROS IM KATALOG DES BANK AUSTRIA KUNSTFORUMS

Botero malt Dicke. – Dieses Klischee haftet der Kunst des kolumbianischen Malers Fernando Botero (*1932, Medellín) an; seitens vieler Kunst-Liebhaber, -Kenner und sogar mancher Wissenschaftler. Fraglos, die Protagonisten seiner Werke sind gigantisch. Jedoch nicht nur menschliche Körper, sondern auch Tiere, Pflanzen und Gegenstände fallen der charakteristischen Überdimensionierung anheim. Dies verdeutlicht rasch, dass es sich nicht um eine Inszenierung des Adipösen handelt, sondern vielmehr um ein künstlerisches Stilmittel. Es ist eine ganz eigene Art der Abstraktion, die in der ausschließlich figurativen Malerei des Kolumbianers einen Weg aus dem Naturalismus eröffnet. Trotz seiner in Motivik wie Technik weitgehend traditionell basierten Malerei, ist in der Formgebung das anti-naturalistische Element die Deformation der Figuren und Gegenstände im Bild hin zu einer Vervielfachung ihres Volumens. Botero selbst nennt seinen Stil „figurative Post-Abstraktion“. Er begründet das mit der Entwicklung seiner Kompositionen, die auf der nahezu abstrakten Gliederung in Farbflächen aufbaut, bevor die Ausarbeitung der einzelnen Form nachfolgt. Bereits im Jahr 1979 sagte der Künstler über dieses polarisierende Stilmittel: „Ich male keine Dicken, mir scheinen meine Figuren eher dünn.“ – die Vorbilder, bevor sie sein Abstraktionsschema durchlaufen, sind das gewiss auch.

Blick ins Buch, S. 100/101

Eine solch klischeebehaftete Rezeption seiner Kunst verdeutlicht vor allem eines: Sein unverkennbarer Stil hat geradezu eine Marke geschaffen – unverwechselbar, prägnant und merkfähig. Wie komplex eigentlich die Beschaffenheit seines Œuvres ist, unter der Fassade dieser visuellen Schlüsselreize, zeigt die Publikation des Bank Austria Kunstforums aus dem Jahr 2011. Mit knapp 180 Seiten scheint sie recht kompakt, vereint jedoch nicht nur im Katalog diachron zentrale Themen in Boteros Gesamtwerk, sondern bietet zudem in drei Essays und einem Künstlerinterview heterogene und äußerst fruchtbare Perspektiven auf seine Malerei.

Blick ins Buch, S. 126/127

Fernando Boteros Einschätzung „ich bin der kolumbianischste unter den kolumbianischen Künstlern“ ist natürlich wie jede Selbstaussage eines Künstlers kritisch zu prüfen. Dennoch findet sie Widerhall in einem offenkundigen Kern seines Œuvres: Wie die Kapitel „Das katholische Lateinamerika“, „Alltag in Lateinamerika“ und „Stierkampf“ untermauern, beschäftigen sich zentrale Werkphasen Boteros mit der Kultur und zentralen Charakteristika seines Heimatlandes. Allerdings blickt er darin meist auf das Kolumbien seiner Kindheit, das ländliche, konservativ und religiös geprägte Leben in der infrastrukturell damals noch wenig angebundenen Region Medellíns. Die künstlerische Reflexion seiner Heimat generiert er also weniger aus der Aktualität als aus der Distanz des Erinnerungsraums. Denn er verließ Kolumbien erstmals im Jahr 1952 in Richtung Europa, wo er Malerei klassisch an der Academía San Fernando in Madrid erlernte und später in Florenz vor allem die Technik der Freskenmalerei studierte. Bis heute baut er seine Werke in altvenezianischer Technik auf apricotfarbenem Untergrund auf, um die Strahlkraft der Farben zu erhöhen. Aus dieser Phase der Rezeption früher europäischer Malerei lässt sich seine Werkgruppe herleiten, die der Katalog unter „Alte Meister“ zusammenfasst: Boteros Schaffen ist besonders reich an Paraphrasen frühneuzeitlicher Malerei aus Spanien, Frankreich und Italien; die kanonischen Gemälde sind stets deutlich wiedererkennbar und doch massiv vom Original abgerückt durch die formale Abstraktion der Volumina. An diese Werkkomplexe des Kolumbianers schließen punktuell auch die Kapitel „Der Akt“ und „Stilleben“ an, die sowohl Paraphrasen enthalten als auch typische Szenen und Objekte der kolumbianischen Gesellschaft. Davon unterscheidet sich drastisch die Serie „Abu Ghraib“, die eine politische Kontroverse der Gegenwart thematisiert und gewiss auch anprangert. Gerade diese Werke machen die Spezifika der Malerei Boteros nochmals deutlich: neben den potenzierten Volumina verstärkt zudem eine Starrheit der Bewegungsdarstellung eine Entrückung der Situation, eine Divergenz zu der Realität und ihrer Dokumentation.

Blick ins Buch, S. 108/109

Jenes Phänomen ergründen und begründen bemerkenswert präzise die Essays von Mario Vargas Llosa und Mariana Hanstein. Vargas Llosa, der vor allem für seine literarische Arbeit bekannt ist, analysiert Boteros Schaffen nicht immer kunstwissenschaftlich, aber doch konkurrenzlos treffend. Das mag in der Schnittmenge der lateinamerikanischen Verwurzelung der Kunst Boteros liegen und der Perspektive, aus der Vargas Llosa als Peruaner diesen kulturellen Hintergrund mit der Malerei zu verschränken vermag; nicht selten bezieht er sich dabei auf den Magischen Realismus des Gabriel García Márquez. Denn er sieht als eine Art ‚Formel‘ für Boteros Kunst die Mischung aus ästhetischer Tradition des Westens mit dem provinziellen Lateinamerika seiner Jugend. Zudem hebt er neben dem Spiel mit dem vergrößerten Volumen auch die zeitlos anmutende Bewegungsdarstellung hervor, die Mariana Hanstein ebenfalls analysiert: „alles ist sichtbar auf Boteros Bildern, aber erstarrt in einer merkwürdigen Unwirklichkeit.“ Inwiefern die transzendierte Form und die zeitlose Bewegung die Affekte des Rezipienten provozieren, dafür gibt der Essay von Conny Habbel einen treffenden Denkanstoß, da sie sich in einem kurzen Abschnitt auf Sigmund Freuds Abhandlung über „das Unheimliche“ bezieht. Ihrer Meinung nach irritiert und bannt vor allem die Unbelebtheit, mit der Botero seine Figuren versieht, in besonderem Maße den Betrachter.

Blick ins Buch, S. 136/137

Überträgt man diesen Ansatz nicht nur auf den Aspekt der Zeitlichkeit, die durch wenig naturalistische Bewegungsdarstellung – mit den Worten von Vargas Llosa –wie „ein Monument der Abwesenheit“ wirkt, sondern auch auf die vertrauten, und doch drastisch verformten Körper im Bild, greift „das Unheimliche“ Freuds auf mehreren Ebenen. Freud führte 1919 aus: „Das Unheimliche [ist] jene Art des Schreckhaften, welche auf das Altbekannte, Längstvertraute zurückgeht. (…) Die Vorsilbe an diesem Worte ist aber die Marke der Verdrängung“. Die besondere Rezeptionserfahrung wird in diesem Kontext klarer, die im Angesicht der Gemälde Boteros stets changiert zwischen Betörung durch die kräftigen Farben, den makellosen Farbauftrag sowie die leicht naive Formgebung und Irritation bis Abstoßung durch die unnatürlichen Formen und die stilisierte Bewegungsdarstellung. Wie die Erinnerungen an einen verblassenden Traum verschränken Boteros Bildwelten die Vertrautheit mit der Entfremdung. Bekannt wirkende Szenerien ebenso wie historisch bekanntes Bildgut laden ein in eine Rezeption, die Boteros Stil lockt, (ver)leitet und zugleich verunklärt. Eine komplexe Bildsprache, die diese Publikation in ihren Kernpunkten erfasst.

Fernando Botero, Ausstellungskatalog, hrsg. von Evelyn Benesch und Ingried Brugger, Ostfildern 2011. Beiträge von: Evelyn Benesch et al. 25,5 x 28,7 cm. Gewicht: 1,2 kg. 176 Seiten mit 148 Abb. (davon 120 farbig). Fester Einband mit Schutzumschlag. Text: Deutsch. Hatje Cantz. ISBN 9783775732208.
Gibt es hier bei artbooksonline.eu

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