VERMEER – MEISTERWERKE IM DETAIL rückt die großen und kleinen Details in Johannes Vermeers Gemälden in den Mittelpunkt der Betrachtung: die Kleidung der Frauen, die geradezu sinnliche Darstellung der Stoffe, der präzise ausgearbeitete Faltenwurf, die feinen Spitzen und Bänder und das reizvolle Spiel von Licht und Schatten auf den Oberflächen; die verschiedenen alltäglichen Haushaltsgegenstände wie Krüge und Gläser, denen in den Szenen eine nicht zu unterschätzende Rolle zukommt; Musikinstrumente, deren Saiten zu klingen scheinen; Augen, die auf uns blicken, mit uns zu kommunizieren und uns in das Geschehen einzubeziehen versuchen – diese vielen bemerkenswerten Elemente, die dazu einladen, in Vermeers Welt einzutauchen, werden in über einhundert seitengroßen Bildausschnitten fokussiert.
Vermeer führt die Betrachter in reich ausgestattete Interieurs, deren Wände Landkarten und Gemälde schmücken. Diese sind jedoch oftmals weit mehr als bloßes schmückendes Beiwerk. Eine Cupido- oder Kupplerinnen-Darstellung, ein Landschaftsbild, ein Porträt oder eine Karte der Niederlande tragen mitunter zur Deutung der dargestellten Szene bei. Die prunkvolle Ausstattung mit Gemälden, Teppichen, Leuchtern und Vorhängen der bürgerlichen Innenräume kontrastiert mit der spartanisch ausgestatteten Küche der Milchmagd. Dort steckt ein Nagel in der kargen, leeren Wand. Klein, kaum sichtbar. Nichts hängt dort. Er scheint funktionslos geworden zu sein. Und gerade deshalb weckt dieses kleine Detail die Neugier der Betrachter: Hing dort etwa ein Gemälde? Und wenn ja, welches und warum wurde es entfernt? Oder war dort etwas ganz anderes befestigt? Dient der Nagel möglicherweise zur Aufhängung eines Küchengegenstandes oder wurde seine Existenz schlichtweg vergessen?
Der französische Schriftsteller und Kunstliebhaber Théophile Thoré-Bürger, der Vermeer nach einer zweihundertjährigen Vergessenheit wiederentdeckte, bezeichnete den Künstler als „Sphinx von Delft“, ein Beiname, der die rätselhafte Mehrdeutigkeit seiner Gemälde hervorhebt. Vermeers Bilder werfen Fragen auf, zeigen sie doch geheimnisvolle Briefe, die geschrieben, gelesen und überreicht werden; gewähren Einblicke in private Räume, in denen Frauen in ihre Beschäftigung und ihre Gedanken versunken sind; verbildlichen Fenster, durch die Licht fällt, aber die keinen Blick nach draußen ermöglichen. Der Inhalt der Briefe, die Gedanken der Frauen und die Umgebung des Hauses bleiben uns verborgen und sind allein unserer Vorstellung überlassen.
Bevor Vermeer sich der Darstellung „modischer Frauen in luxuriös eingerichteten Interieurs, gelegentlich in Begleitung einer Dienstmagd oder eines männlichen Bewunderers“ widmete, versuchte er sich an mythologischen und biblischen Themen. Als „prototypischer Vermeer“ gilt jedoch ein Gemälde, das einzigartig in seinem Werk ist: die Ansicht von Delft, über die Thoré-Bürger 1866 schrieb: „Im Mauritshuis, dem königlichen Museum des Haag, nimmt eine prächtige und ganz eigenartige Landschaft alle Besucher gefangen und prägt sich sowohl den Künstlern wie auch den feinen Gemäldekennern lebhaft ein.“
Der Autor Gary Schwartz verweist darauf, dass Vermeers Gemälde als frühe „Konversationsstücke“ bezeichnet und dass Kunstwerke in Zeiten, in denen es keine öffentlichen Museen gab, oftmals von mehreren Menschen gleichzeitig angeschaut wurden, die gemeinsam über das Dargestellte und dessen Bedeutung diskutierten. So empfiehlt Schwartz auch für die Nutzung dieses Bandes, „dass man nicht alleine, sondern mit ein oder zwei Personen zusammen die Details betrachtet“ und fügt hinzu, dass das „großzügige Format des Buches auf bequeme Weise die gemeinschaftliche, von Gesprächen begleitete Betrachtung“ begünstigt.
Kenntnisreich und unterhaltsam führt der Autor die Leser durch das Werk und Leben Johannes Vermeers. Alle siebenunddreißig ihm aktuell zugeschriebenen Gemälde werden zunächst einzeln gezeigt und beschrieben. In den Kapiteln, die sich mit verschiedenen Aspekten seines Werks befassen, rücken schließlich die Bilddetails in den Fokus, die großformatig abgebildet und von Schwartz in einen größeren Kontext gebracht, kommentiert und erläutert werden. So erzählt der Autor etwa, dass Vermeer in dreiundzwanzig Ehejahren mit seiner Frau Catharina fünfzehn Kinder bekam, in seinen Gemälden Kinder jedoch keine Rolle spielten und dass Vermeer einem Bäcker Geld für Brotlieferungen schuldete und ihm deswegen zwei Gemälde überschreiben musste. Im Zusammenhang mit dem Mädchen mit dem Perlenohrgehänge fragt Schwartz, ob der Ohrring, der als Perle Ruhm erlangt habe, wirklich eine Perle sei und führt verschiedene Interpretationen auf, die vermuten dieser könne aus Silber, Zinn, Glas oder Fischschuppen bestehen. Auch das Stövchen in der Küche der Dienstmagd mit Milchkrug nimmt der Autor in den Blick und erklärt, dass dieses als Fußwärmer fungierte und wegen seiner Platzierung unter Frauenröcken nicht selten anstößige Assoziationen hervorrief.
VERMEER – MEISTERWERKE IM DETAIL legt das Augenmerk auf die manchmal zentralen und auffälligen, manchmal fast verborgenen und scheinbar belanglosen Details im Werk Vermeers und erkundet die Geschichten und Rätsel, die sich in und hinter den Gemälden verbergen.
Gary Schwartz: Vermeer – Meisterwerke im Detail, Köln (Verlag Bernd Detsch) 2017. 24 x 32 cm. 280 S. mit 165 farb. Abb. Bibliografie. Leinen mit Schutzumschlag. Text in deutscher Sprache. ISBN 9783940602053. Gibt es auch bei artbooksonline.de
Preis: 29,95 €