Ulrich Wüsts neue Publikation „Köln“ kommt als kleines aber feines Künstlerbuch daher, als „visuelle Novelle“, wie Rolf Sachsse formuliert. Schwarzes Vorsatzpapier und rot schimmernde Prägeschrift atmen eine gewisse Sakralität, während der starke Schattenfall auf dem Titelbild den Betrachter durch eine sonnige Stadt streifen lässt. Der Blick einer mittelalterlichen Skulptur auf die mit Künstlernamen versehene Wand des Wallraf-Richartz-Museums nimmt dabei den Stilmix der Kölner Architektur vorweg und verweist auf das Ansinnen des Buches.
2004/2005 mit einer Mittelformatkamera für Architekturfotografie aufgenommen, sind Wüsts präzise komponierte Schwarz-Weiß-Bilder, so Sachsse weiter, „Momente des Innehaltens auf einem Weg der Beobachtung“. Zwischen Stadtmitte, Stadtteilen und Stadtrand lenkt der ausgebildete Stadtplaner und Fotograf das Auge des aufmerksamen Flaneurs auf die räumlichen Beziehungen, die sich vor der Kamera entfalten: Stein- und Gebäudestrukturen treten ebenso in einen visuellen Dialog wie ganze Bauwerke. Von der Römerzeit bis zur Postmoderne gleitet der Blick durch die historischen Schichten des alten und neuen Kölns, um immer wieder an gelungenen Gegenüberstellungen, faszinierenden Konstellationen, vertrauten und ungewohnten Ansichten Kölns zu verweilen. On-artbooks.com sprach mit Ulrich Wüst über das Projekt.
Jule Schaffer: Wie kam es dazu, dass Sie ausgerechnet Köln fotografiert haben?
Ulrich Wüst: Durch Vermittlung von Jan Thorn-Prikker hatte ich 1994 bei Walther König das Buch „Kopfreisen und Irrfahrten“ gemacht. Nach dieser Produktion schlug mir König vor, meine Sicht auf Stadt und Städte, die ich unter anderem in Berlin und Magdeburg und anderen Städten des Ostens erprobt hatte, einmal auf die westdeutsche Stadt Köln zu übertragen.
JS: Wie haben Sie die Stadt wahrgenommen?
UW: „Fremdes Pflaster“ – diesen Arbeitstitel musste ich kaum finden oder erfinden, er drängte sich mir sofort auf.
Fremd war nicht das erste Spazieren durch die Stadt, das war kein Problem, fremd im Sinne von beängstigend war der Gedanke, dieses Köln fotografieren zu wollen. Hier fehlten gänzlich die zweifelhaften Attraktionen meiner bisherigen Orte, hier hatte fast alles ein mir neues mittleres Maß, kaum etwas drängte sich hervor als besonders schön, als besonders hässlich, als besonders reich, als besonders arm, nicht als schreiend neu und nicht als pittoresk verfallen.
Der endlos lange Nachkriegszustand der ostdeutschen Städte war hier, auf den ersten Blick, sehr viel besser retuschiert. Die Wunden waren damit keinesfalls verheilt, eher notdürftig zugedeckt. Schnell und pragmatisch.
Hier wurde es sozusagen ernst, der Ort verweigerte sich, er hielt mich auf Abstand. In der Folgezeit schärfte sich, das kann ja jetzt überprüft werden, mein Blick für dieses Unauffällige, leicht zu Übersehende.
JS: Gerade auch als Kölner kann man durch dieses Gespür für das Besondere im Oft-Gesehenen, das sich durch Ihre Bilder vermittelt, die Stadt neu entdecken: Viele Orte erkennt man zwar, so hat man sie aber vorher nicht wahrgenommen. Köln ist eine viel fotografierte Stadt – wie geht man an so ein Projekt heran um, wortwörtlich gesprochen, seinen eigenen Weg durch die Stadt zu finden?
UW: Ich habe mir darüber sehr wenig Gedanken gemacht, habe mir auch kaum ein Fotobuch angesehen, das hätte mich nur irritiert. Möglichst ausführliche und mit einem Blick in die Geschichte ausgestattete Stadtführer und Stadtpläne sind da die neutralere Kost. Der Rest ist Anschauung und Laufen, viel Laufen. Sich der Stadt aussetzen und sich mit dem auseinandersetzen, was da ist, auch wenn es noch so schwer fällt.
JS: Hinten im Buch ist ein Leporello abgebildet – was hat es damit auf sich?
UW: Kleine Klebebücher, bei mir in der Form von Leporellos, dienen mir unter anderem dazu, einen ersten Überblick über eine Arbeit zu bekommen. Fotografie lässt bei den meisten, Ausnahmen mag es geben, große, zu große Materialmengen entstehen. Und das ist bei dem Flaniercharakter meiner Arbeit oft eine wilde Mischung aus angesteuerten Zielen und all dem am Wegesrand, was selbstverständlich in keinem Stadtführer vorkommt und was dann letztendlich das Gesamtkonvolut dominiert. Und so hatte ich für das Köln-Unterfangen erst einmal mehr als 250 Fotos zusammengefasst, was nun keinesfalls den Anspruch einer ausgereiften Form hatte, vielmehr ist es eine Materialsammlung, eine Skizze. Da gab es Seiten mit bis zu sechs Fotos, das war für die Idee eines sehr kleinformatigen Buches nicht tauglich. Und so war, die notwendigen Kürzungen nicht zu vergessen, nur ein Anlehnen an diese Vorlage möglich und sinnvoll.
JS: Das Fotobuch als Format bringt eigene formale Voraussetzungen mit, bspw. die Struktur der Doppelseite. Einige Ihrer Aufnahmen wirken fast wie Architektur-Porträts, andere entfalten darüber hinaus im Dialog eine besondere Wirkung, etwa wenn sich in gegenüberstehenden Detailansichten ähnliche Strukturmuster wiederholen. Was macht Ihrer Meinung nach ein gutes Fotobuch aus?
UW: Ich weiß nicht, was ein gutes Fotobuch ausmacht. Das wäre ja langweilig (und das Ende von Fotobüchern), wenn es dafür ein Rezept geben würde. Jede Aufgabenstellung sollte irgendetwas unerwartetes neues, ganz anderes, hervorbringen. Und so entsteht, wenn alles gut geht, auch eine neue Form, etwas, was ich vielleicht gar nicht erwartet hatte.
Wir danken für das Gespräch!
Ulrich Wüst: KÖLN. Herausgegeben von Achim Heine, Richard Reisen und Rolf Sachsse, mit Texten von Rolf Sachsse und Hans Zischler, 168 Seiten mit 156 Fotografien, Köln: Verlag Bernd Detsch, 2018. ISBN 978-3-940602-08-4
Gibt es auch hier bei artbooksonline.eu
Zum Fotografen:
Ulrich Wüst wurde 1949 in Magdeburg geboren und studierte 1967–1972 an der Hochschule für Architektur und Bauwesen, Weimar (Diplom als Stadtplaner). 1972 zog er nach Ost-Berlin, von 1972–1983 Arbeit als Stadtplaner und Bildredakteur. Seit 1984 freischaffend als Fotograf in Berlin und Schönhof/Mecklenburg.
www.ulrichwuest.de
Köln-Bilder © Ulrich Wüst, 2018