Manuel Álvarez Bravo, Walker Evans, Lee Friedlander und Garry Winogrand – diese Namen haben die Geschichte der Fotografie des 20. Jahrhunderts nachdrücklich geprägt. In den Jahren 1973 und 1974 stellten Friedlander und der Verleger Burt Wolf vier Portfolios zusammen, die je 15 Fotografien von Friedlander, Álvarez Bravo, Evans und Winogrand enthielten und von der legendären „Double Elephant Press“ in New York herausgebracht wurden. 2014 wurden die Portfolios anlässlich des 80. Geburtstags von Lee Friedlander in der Galerie Thomas Zander in Köln ausgestellt, nun gibt es dazu die vorliegende Kassette „Double Elephant“, herausgegeben von Thomas Zander und erschienen bei Steidl. Sie versteht sich als Hommage nicht nur an die Arbeit dieser vier Meister der Fotografie, sondern auch auf die Tradition des signierten und limitierten Portfolios sowie auf das Handwerk luxuriöser Buchbindekunst.
„Double Elephant“ war ursprünglich eine imperiale Bezeichnung für Papiergröße und -bindung, wie der Gründer der „Double Elephant Press“ Burt Wolf hervorhebt: „Historically, the phrase Double Elephant was used to describe the size of a book and the technique for binding. However, over the years (a few hundred) the phrase Double Elephant was employed to request the highest grades of paper, ink and materials available. That is why we called it the Double Elephant Press.” Und welcher Verlag wäre besser dazu geeignet diese Tradition aufzugreifen als Steidl?
Von einem 32-seitigen Textband begleitet, enthält die Kassette je einen Band zu einem der Fotografen, darin durchweg sehenswerte Aufnahmen, einige Inkunabeln der Fotografiegeschichte inklusive:
Walker Evans (1903-1975) subtile, der Wirklichkeit entnommenen Momentaufnahmen prägten seit den 1930er Jahren nachhaltig das Bild der amerikanischen Gesellschaft und beeinflussten nachkommende Generationen von Dokumentarfotografen. Seine Bilder autofahrender, festlich gekleideter Amerikaner und die Fotos von Schriftzügen und Landschaften spiegeln eine Vergangenheit, die doch zugleich sehr präsent und in ihrer Menschlichkeit zutiefst fragil erscheint – versehen mit einer Prise Ironie, die das Banale in den Fokus rückt. Zeitgleich hielt Manuel Álvarez Bravo (1902-2002) Momente der mexikanischen Geschichte fest, etwa mit Striking Worker, Murdered, 1934. Andere Bilder zeugen von seinem poetischen Blick für surreale Elemente, wie etwa Optical Parable, 1931.
Garry Winogrand (1928-1984) und Lee Friedlander (geb. 1934) stehen stellvertretend für den persönlicheren Blick der New Street Photography der 1960er und 1970er Jahre. Ihren fotografischen Ansatz fasste John Szarkowski 1967 im Rahmen der im Museum of Modern Art gezeigten Ausstellung New Documents zusammen, mit der Friedlander und Winogrand bekannt wurden: „Their aim has been not to reform life but to know it, not to persuade but to understand. The world, in spite of its terrors, is approached as the ultimate source of wonder and fascination“ (Szarkowski, 1967)
Winogrand war ein manischer Fotograf, stets auf der Suche nach skurrilen Alltagsmomenten, von denen er der Nachwelt zahlreiche überlieferte, wie etwa das Paar mit zwei bekleideten Affen im Arm (Central Park Zoo, New York, 1967). Auf seinem Weg löste sich die Kamera mehr und mehr vom Auge, die Wirklichkeit scheint im fotografischen Bild beinahe subjektiv verzerrt, was sich insbesondere auch in seinen Fotografien von Frauen verdeutlicht. Als er 1984 starb, hinterließ er viele Rollen unentwickelten Film, die davon zeugen, dass für ihn das Fotografieren als Praxis der Weltaneignung fast relevanter war als das Endprodukt Foto. Friedlanders Fotografien sind etwas beobachtender, doch nicht weniger fasziniert von visuellen Alltagsphänomenen: So entdeckte er die Stadt als Raum in dem sich die Bilder überlagern, um Symbole der amerikanischen Kultur freizugeben. Das Schaufenster tritt sowohl als Motiv wie als Spiegelfläche in den Fokus der Kamera und oftmals integrierte er sich selbst ins Bild, wie bei dem wohl bekanntesten seiner Fotos, das seinen Schatten auf dem Pelzmantel einer Frau zeigt (New York City, 1966).
Als Ganzes bietet die Kassette eine kleine Geschichte jener Dokumentarfotografie des 20. Jahrhunderts, die die Welt mit Faszination betrachtet und stets neue Blickwinkel entdeckt, ohne manipulieren zu müssen. Im Durchblättern der Bände werden neue Bezüge zwischen den einzelnen fotografischen Ansätzen deutlich, aber auch die feinen Unterschiede treten zutage. Ein Geschenk nicht nur zu Lee Friedlanders 80. Geburtstag, sondern auch für uns – und ganz klar „Double Elephant“ throughout.