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Book Sites. Teil 4 – Richard Prince: Collected Writings

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Gesammelte Schriften und Collected Writings – Texte und Interviews.

„Nein, ich bin überhaupt nicht dazu geeignet, Schriftsteller zu sein. Ich habe nie etwas geschrieben.“
Richard Prince, Interview 1997

Während Robert Smithson und Lawrence Weiner in ihren Schriften damit ringen, ihr ästhetisches Konzept zu verdeutlichen und Missverständnisse auszuräumen, geht es Richard Prince scheinbar darum, sich fortlaufend selbst zu widersprechen. Unglaubwürdigkeit ist sein oberstes Ziel, zumindest auf einer vordergründigen Ebene. Obwohl Prince nur wenige Jahre jünger ist als seine beiden Künstlerkollegen, ist sein Umgang mit dem Medium Wort gänzlich konträr.

Die 2011 erschienene Sammlung umfasst laut Verzeichnis die Jahre 1967 bis 2009, müsste jedoch eher Selected Writings heißen, enthält sie doch nur eine Auswahl. Es sind jeweils wenige Seiten mit pseudo-biografischer oder rein fiktionaler Prosa. Kleine Geschichten aus Prince‘ Leben und über seine Arbeitsmethoden sowie Begegnungen mit anderen Künstlern, oder seine verborgenen beziehungsweise gelebten Wünsche, stets verbunden mit dem Blick auf die Massenkultur und ihren wirklichkeitskonstituierenden Einfluss. „Unbelievable and believable have become the same thing.“ (S. 71) Die Fiktion ist nicht weniger wahr als das tatsächliche Ereignis, denn es lässt sich schon längst nicht mehr bestimmen, wie man eines von beidem erkennt.

Nach den 215 Seiten weiß man jedoch deutlich mehr über die Künstler-(Kunst)Figur Prince, denn viele seiner Ansichten und Herangehensweisen schimmern immer wieder zwischen den Zeilen hindurch; obwohl sie scheinbar doch nur Details, Nebensächlichkeiten oder Profanes behandeln. Ein wiederkehrendes Thema ist die Einsamkeit des Individuums, nur ist sie nicht existentiell-heroisch à la Bruce Springsteen, sondern hat etwas Perverses. Die „Tramps“ und „Outsider“ suchen Zuflucht und vertreiben sich die Zeit in den billigen Pornokinos und Peep-Shows rund um den Time Square (Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre versteht sich). In Manier eines Nouveau Roman wird in Sex Picture von 1979 der 8mm Film Artists Ball beschrieben, den Prince jeden Donnerstag im Pussycat Theater „on Seventh Ave. and 47th Street“ anschaut. Zumindest wird dem Leser oder der Leserin suggeriert, dass Prince jene Beobachtungen macht, denn alle Texte sind in der ersten Person geschrieben.

Richard Prince – Collected Writings, Ostfildern 2011, Inhaltsverzeichnis S. 4/5.

Nur im Inhaltsverzeichnis sind die Texte datiert, dennoch meldet sich auch hier der Generalverdacht des Unaufrichtigen (Abb. S. 4 und 5). Denn nicht nur sind auf Prince‘ offizieller Homepage noch weitere Texte zu finden, auch sind einige abweichend datiert. Interpretations- und Glaubensfragen rücken nah zusammen.
Prince wird als Künstler mit der Appropriation Art und der Pictures Generation verbunden (benannt nach der Ausstellung Pictures von Douglas Crimp im Artist Space, New York, 1977). Er wird in die Nähe von Künstlerinnen und Künstlern wie Sherrie Levine, Robert Longo, Cindy Sherman, Louise Lawler oder auch Jeff Koons gerückt. Die kunsthistorische Sicht ist von den Theoretisierungen von Abigail Solomon-Godeau und Douglas Crimp zur Postmoderne in der Fotografie bestimmt. Prince – wie gewohnt in Frontalopposition – bemerkt dazu: „Ich hasse die Postmoderne.“

Die Aneignung (Appropriation) beschreibt dabei sein Verfahren, wenn er beispielsweise, wie in seiner berühmt-berüchtigten Cowboys Serie ab Beginn der 1980er Jahre, inszenierte Werbefotos der Tabakindustrie abfotografiert und ausstellt (Abb. S. 32). Während Crimp in diesem „Diebstahl“ eine entlarvende, subversive Haltung sieht, die dem Betrachter das Fiktionale dieser Szenen vor Augen führen soll, taucht in Prince’ Textfragmenten wiederholt eine gegenteilige und erweiternde Interpretation auf. Die inszenierte Werbefotografie hat eine „believable fiction“ geschaffen, ein kollektives Bildgedächtnis, welches auf Klischees aufgebaut ist. Ähnlich verhält es sich mit Filmszenen des Hollywoodkinos. Prince‘ Aneignung will eine doppelte Wendung herbeiführen: Die Filme und Werbebilder, genau wie das Leben in Magazinen, sind dermaßen schamlos fiktional, dass sie zur neuen „supernatural reality“ werden. Erleben wir solche Situationen, dann reagieren wir, konditioniert durch unser Bildgedächtnis und die Massenmedien, als lebten wir in einem Film oder einer Zeitschrift. Eine Konditionierung, die das tatsächliche Leben irreal erscheinen lässt. Solch bildtheoretische Überlegungen, lassen sich – zwischen Anekdoten über das Schwänzen der Arbeit und den Besuch einer Bar – in seinen Geschichten herauslesen.

Richard Prince – Collected Writings, Ostfildern 2011, S. 32/33.

Im Text The Counterfeit Memory (1981) gibt es auch eine pragmatische Erklärung, woher die Faszination für die „autorlose“ Werbefotografie kommt. Er war bei der Time-Life Redaktion in der Abteilung „Tear Sheets“ angestellt, um während der Nachtschicht alle Seiten der Magazine herauszureißen, damit sie nach Bedarf im Haus verteilt werden konnten – nur die Werbung blieb zur freien Verfügung übrig. Wahrscheinlich eine weitere Legende, die Prince verbreitet, jedoch sehr aufschlussreich für die Arbeitsweise des Künstlers Richard Prince: Die für ihn omnipräsente Bildwelt des Konsums, die immer etwas Perfektes hatte, musste nur noch reproduziert werden.

Als Book-Site ist der gesamte Inhalt der Geschichten zu interpretieren, nicht bloß die vermeintlich wahren Aussagen oder die theoretischen Subtexte. Denn anders als bei Smithson oder Weiner, die wohl jedes Wort bitterernst meinen, spielt Prince unablässig mit Affirmation und Negation. Er ist gleichzeitig asozialer Voyeur, der die Schönheit der Werbung wertgeschätzt wissen will und scharfsinniger Bildtheoretiker, der Phänomene unserer Lebenswelt diagnostiziert. Ein ambivalenter Status, der seine Kunst zugänglicher macht, da man sich bei ihr zwischen plumpem Diebstahl und lakonisch genialer Konterrevolution nie wirklich entscheiden kann. Dabei schaffen es seine geschriebenen Worte, die Book-Sites, dies als ästhetisches Prinzip zu zeigen. Ein Zustand, der gar nicht aufgelöst werden muss, da von ihm die Spannung ausgeht. Eine Lektüre seiner Collected Writings bringt immer nur einen von vielen Richards hervor, und dies scheint vollends beabsichtigt.

Richard Prince – Collected Writings, Ostfildern 2011, S. 140/141.

Seine Ablehnung gegen alle Festschreibungen zeigt sich symptomatisch an Guns and Poses von 2004 (Abb. S. 140). Vermutlich, da Prince‘ ästhetische Vorgehensweise oft mit der Pop Art Warhol’scher Ausprägung verglichen wurde, setzt er sich in den schärfsten Kontrast zu Andy Warhol. Keine Parallelen lassen sich zwischen den Beiden finden: „Andy was a good photographer; I’m the worst photographer in the world.“ Jener Text schließt damit, dass die Künstler sich im Wartezimmer ihres gemeinsamen Zahnarztes treffen und die Hand geben – demnach gibt es selbst in der Welt von Richard Prince manchmal ein Happy End.

Dieser Beitrag ist Teil der Book Sites-Reihe. Hier geht es zu Teil 1 (Prolog), Teil 2 (Robert Smithson) und Teil 3 (Lawrence Weiner).


Richard Prince – Collected Writings, hrsg. von Kristine McKenna, Ostfildern 2011.
ISBN 978-3-7757-3176-8

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Book Sites. Teil 3 – Gefragt und Gesagt. Schriften und Interviews von Lawrence Weiner 1968-2003

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Gesammelte Schriften und Collected Writings – Texte und Interviews.

Bei dem Versuch, über die Schriften von Lawrence Weiner eine Aussage zu treffen, ergeben sich gleich mehrere Schwierigkeiten. Mal davon abgesehen, dass er seit 1968 (fast) sein gesamtes Werk sprachlich formuliert, betont er seitdem vehement, dass die Sprache sein Material sei und die spätere Ausführung des Werks – die eigentliche Materialisierung – vollkommen unwichtig. So betrachtet könnten alle seine Worte Kunst sein; jedes hat zumindest potenziell die Möglichkeit dazu.

Der als einer der radikalsten Konzeptkünstler bekannte Weiner nennt sich dem folgend einen Materialisten. Noch so ein Widerspruch, steht bei der Konzeptkunst doch die „Entmaterialisierung“ als ein Schlüsselereignis. Der Sprache wird nicht der Geist des Immateriellen zugeschrieben, sondern sie ist der Gegenstand mit dem er arbeitet. In der Praxis sind die zumeist existenz-philosophischen, zuweilen aber auch tautologisch-lakonischen und manchmal einfach nur „platten“ Aphorismen gut als Kunstwerke zu identifizieren – die Weiner-Typographie ist in ihren Versalien unverkennbar.

Lawrence Weiner – Gefragt & gesagt, Stuttgart 2005, S. 22/23.

Eine weitere Besonderheit ist Weiners Absichtserklärung (Statement of Intent). Während im ersten Teil dieser Book-Sites Reihe noch dafür plädiert wurde, nicht immer wieder ein und denselben Satz für einen Künstler zu benutzen, sondern seine gesamten Schriften einzubeziehen, ist es bei Weiner ein Abschnitt, der alles zu erklären scheint. Seine Absichtserklärung, diese fünf kondensierten Zeilen künstlerischen Schaffens, werden seit 1969 immer wieder abgedruckt. (Abb. S. 22)
Revolutionär sind zwei Punkte: Zum einen wird die Ausführung dem Empfänger übertragen, was (vermeintlich) eine Machtposition bei der Umsetzung verspricht. Zum anderen stellt Weiner alles in seine Absicht; wodurch er als Erschaffer nicht übervorteilt werden kann, egal was passiert.

Die Erfolgsgeschichte dieses Statements ließ sogar zahlreiche Variationen der Absichtserklärung entstehen, teilweise nur marginal verändert und an den Kontext der jeweiligen Publikation angepasst. Dies ging so weit, dass es die Absichtserklärung [Aber können sie einen Kirschkuchen backen] gibt. (Abb. 327). Offenkundig sich selber nicht zu ernst nehmend und der ständigen Wiederholung überdrüssig, wendet sich Weiner damit also den wirklich wichtigen Fragen in seinem künstlerischen (Kurz-)Manifest zu.

Lawrence Weiner – Gefragt & gesagt, Stuttgart 2005, S. 326/327.

Viel entscheidender als Weiners Absichtserklärung ist jedoch seine Kontext-, Metapher- und Objekt-Auffassung von Kunst, die sich mittels der Gesammelten Schriften entfaltet. Die Erläuterungen, die in den Interviews, Symposien, Gesprächen und Texten immer wieder zu finden sind, können als seine Book-Site verstanden werden. Denn hier gibt es den tiefsten Einblick in sein ästhetisches Konzept – weitaus mehr, als in der X-ten Wiederholung des fünfzeiligen Statements of Intent.

Weiner zeigt sich dabei als Korrelationist. Kunst ist für ihn „die Beziehung von Gegenständen zum Menschen“ oder „von Gegenständen zu anderen Gegenständen, zum Menschen“. (S. 345) Der Korrelationismus wird beim Bezug auf das Subjekt deutlich. Ein Objekt alleine ist nicht die Kunst, sondern erst wenn die Aneignung durch den Menschen passiert. Weiner ist sehr von einer kantischen Denkweise geprägt. Da er allerdings, ebenso wie viele weitere Künstler und Künstlerinnen seiner Generation, institutionsreflexiv arbeitet, kommt es zur Erweiterung auf den Ausstellungskontext. Alle übrigen Gegenstände müssen in die Gleichung Kunst mit aufgenommen werden. Aber auch bei der Beziehung von Kunstwerken zueinander ist der Kunstgehalt die Erfahrung des Menschen, sein Bezug auf die Objekte. Gesehen wird aber kein „Bild aus Schrift“, sondern eine „Skulptur aus Material“, die sich aus den Buchstaben und der Umgebung zusammensetzt.

Weiner sieht es dabei als ultimativen Vorteil an, dass seine Arbeiten immer in einen zeitgenössischen Kontext gestellt werden können. Leicht auszuführen und vom Untergrund variabel, sind sie nicht an „alte Videogeräte oder alte[n] Stein einer Marmorskulptur“ gebunden. Aus demselben Grund lehnt er auch bestimmte Typographien bei der Ausführung ab, da diese zu schnell für eine bestimmte Zeit stehen könnten.

Die Book-Sites in Lawrence Weiners Gesammelten Schriften geben einen ganzheitlicheren Blick auf seine ästhetische Praxis. Seine teilweise homogen wirkenden Kunstwerke werden von einem Unterbau getragen, der ausdifferenziert ist. Dabei scheint es so, als würde er nicht zwischen unterschiedlichen Sichtweisen abwägen, sondern hätte seine Haltung gegen Ende der 1960er Jahre definiert und seitdem behände verästelt. Die Podiumsdiskussionen, Interviews, Gespräche und Symposien im Buch ergeben ein exaktes Bild. Zudem äußert sich Weiner zu Themen, die über Kunstwerke hinausgehen: gesellschaftliche Prozesse, Ökonomie, Spiritualität, die globale Weltordnung – seine Reflexionen sind weit gefasst.

Lawrence Weiner – Gefragt & gesagt, Stuttgart 2005, S. 38/39.

Auf Seite 38 findet man beispielsweise eine seiner Anleitungen, wie das Kunstwerk „transportiert“ wird. (Abb. S. 38) Das Werk OBSTRUCTED wurde 1970 in der Gruppenausstellung Art in the Mind im Allen Memorial Art Museum in Oberlin Ohio gezeigt. Es ist lediglich ein Brief. In ihm ist der Hinweis zu sehen, dass dieses Kunstwerk öffentliches Eigentum ist (Collection – Public Freehold), und nach der obligatorischen Absichtserklärung gibt es noch die Legitimation des Künstlers, die Arbeit tatsächlich nach eigenem Gutdünken auszuführen. Denn die jeweilige Realisation wird nicht darstellen „wie die Arbeit aussieht, sondern nur, wie sie aussehen kann.“

Die vielen Erläuterungen oder Stellungnahmen, die in den Gesammelten Schriften aufgeführt wurden, sind wie Weiners Kunstwerke in Versalien gehalten. Weiner hat auf Anfrage für Ausstellungskataloge oder Kunstzeitschriften dutzende Texte zu den unterschiedlichsten Themen verfasst. Vor dem Hintergrund, dass ihr Abdruck einen neuen Kontext herstellt und jede Ausführung nicht zeigt, wie die Arbeit aussieht, sondern wie sie aussehen könnte, ist es da legitim, in diesem Fall von Kunst zu sprechen? Mit Blick auf Seite 258 lässt sich die Überlegung präzisieren. (Abb. S. 258) Sein Beitrag zu der Publikation eines Symposiums findet sich im Buch wieder, er wurde für den neuen Kontext ausgeführt und kann vom Leser oder der Leserin als „empirische Tatsache“ angeeignet werden. Nimmt man Weiner wörtlich, so ist es Kunst. Vielleicht ist es aber auch nur der Zusammenfall von „secondary and primary information“, wie Seth Siegelaub es 1969 formulierte – also, wenn Konzeptkunst abgedruckt wird, und somit ihre Dokumentation und das eigentliche Werk zusammenfallen.

Lawrence Weiner – Gefragt & gesagt, Stuttgart 2005, S. 258/259.

Diese paradoxen Situationen werden bewusst herbeigeführt, um den Status des Kunstwerks zu hinterfragen, soviel scheint nach der Lektüre sicher. Weiner hat ein für seine Ästhetik kongruentes System erschaffen, welches nicht ohne Widersprüche und Veränderungen ist – im Kern aber einen bemerkenswert konsistenten roten Faden hat. Da er allerdings weiterhin mit Sprache, beziehungsweise Material, arbeitet, darf man auch auf die Fortsetzung der Gesammelten Schriften warten.

Dieser Beitrag ist Teil der Reihe Book Sites. Hier geht es zu Teil 1 (Prolog) und zu Teil 2 (Robert Smithson).


Lawrence Weiner – Gefragt & gesagt. Schriften & Interviews von Lawrence Weiner 1968-2003, hrsg. von Gerti Fietzek, Gregor Stemmrich, Stuttgart 2005.
ISBN 978-3-7757-9193-9

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Book-Sites. Teil 2 – Robert Smithson: Gesammelte Schriften

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Gesammelte Schriften und Collected Writings – Texte und Interviews.

Robert Smithsons Gesammelte Schriften zeigen seine ungemein vielfältigen Wissen- und Interessengebiete. Er war ein Künstler, der, würde man nur von den Kunstwerken ausgehen, wohl hauptsächlich im Dreck gewütet zu haben scheint. Das diese Sichtweise falsch ist, zeigt sich an seinen Schriften. Trotz seines frühen Unfalltodes im Jahr 1973 mit gerade einmal 35 Jahren, hat die deutsche Ausgabe der Gesammelten Schriften aus dem Jahr 2000 über 350 Seiten im DinA4-Format.

Enthalten sind seine Texte, die chronologisch von 1962 bis 1973 angeordnet sind, sowie einige Gespräche und Interviews. Für die englische Originalausgabe aus dem Jahr 1979 wurden alle seine Artikel für diverse Kunstzeitschriften – besonders in den frühen Jahren war Smithson ein Chronist der jungen Kunstszene in New York – und Beiträge für die eigenen Ausstellungskataloge sowie unveröffentlichte Schriften zusammengetragen. Sie diente auch als Grundlage für die deutsche Übersetzung.

Schon früh wurden die Texte mit seinem künstlerischen Œuvre assoziiert – nur bei wenigen Künstlern ist die Verbindung von bildnerischen und schriftlichen Erzeugnissen so prägnant wie bei Smithson. Seine Sites und Non-Sites würde man auf gänzlich andere Weise betrachten, hätten sie nicht die mannigfaltigen schriftlichen Erzeugnisse, die ich hier Book-Sites nennen möchte, als Legitimation. Dazu passt, dass im Anhang ein Inventar von Smithsons Bibliothek zu finden ist, die nach seinem Tod katalogisiert wurde.


Robert Smithson. Gesammelte Schriften, Köln 2000, S. 340/341 und S. 344/345.

Diese Bibliothek ist mit über 1000 Titeln nicht nur umfangreich, sondern betont darüber hinaus mit Kategorien wie Ästhetik, Psychologie, Religion, Ökonomie, Wissenschaft, Anthropologie und Philosophie, unmissverständlich seine Bildung. Die Botschaft ist eindeutig: Alles was Herr Smithson macht, ist zutiefst fundiert. Und genauso sind auch seine Schriften: In ihnen finden sich einige der klügsten Gedanken, die ein Künstler je zu Papier gebracht hat. Pierre Bourdieu würde das Phänomen vermutlich folgendermaßen erklären: Da Smithson die Speerspitze einer neuen Kunst, der Land Art war, musste er die ästhetische Theorie zu seiner Praxis mitliefern, damit sie in das Feld der legitimen Kultur aufgenommen werden konnte, ansonsten wäre sie „vulgäre Praxis“ geblieben.

Darüber hinaus sollte ebenfalls bedacht werden, dass die sechziger Jahre besonders in New York eine Zeit des strukturellen Umbruchs in der Kunst waren. Es etablierten sich immer mehr Galerien und Ausstellungshäuser und das kulturell interessierte Publikum wuchs beständig; in diesem Kontext entstand eine Generation von jungen Künstlern, die sich von den Heroen des abstrakten Expressionismus sowie von dem auf Autonomie und Medienspezifik beruhenden Kunstdiskurs emanzipieren wollten. Eine Situation, die Philipp Ursprung in seiner Studie Grenzen der Kunst, in der es unter anderem um Smithson geht, minutiös untersucht.

Smithson. Gesammelte Schriften, S. 185, „Kulturelle Gefängnisse“.

Zu den vermutlich wichtigsten Texten in Smithsons gesammelten Schriften kann Kulturelle Gefängnisse gezählt werden. Jene Abhandlung, die er im Jahr 1972 geschrieben hat und die nach seinem Boykott der Documenta 5 dennoch im Ausstellungskatalog abgedruckt wurde. Smithson sagte zusammen mit anderen Künstlern ab, da ihnen das von Harald Szeemann vorgeschriebene Konzept zu starr und einengend war – es wurde befürchtet, dass Szeemanns Sektionsaufteilungen die einzelnen Werke zu sehr fremdbestimmen würden. Und gleich der erste Satz von Smithson enthält seine Kritik in der Nussschale: „Es ist kulturelle Freiheitsberaubung, wenn ein Kurator einer Kunstaustellung seine Einschränkungen vorgibt.“ Nebenbei eine Bemerkung, die in Zeiten, in denen sogar Alltagssituationen „durchkuratiert“ werden, eine nicht unwesentliche Aufforderung zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Begriff und den Aufgaben des Kurators enthält.

Mittels des Schreibens, so lässt es Smithson den interessierten Leser wissen, entwickele er Ideen für seine Kunst. Die Book-Sites stehen demnach am Anfang des künstlerischen Prozesses oder initiieren ihn erst. Sie können aber zugleich auch die finale Form sein, zum Beispiel, wenn ein Werk nicht vollendet werden kann und es bei der Planung blieb. In diesem Fall ist das geschriebene Wort die einzige Verbindung zum gesamten künstlerischen Kosmos; gäbe es diese Aufzeichnung nicht, so könnten wir nicht nachvollziehen, was Robert Smithson wann bereits geplant hatte. Einen Künstler nur anhand seiner ausgeführten Arbeiten zu beurteilen, würde bedeuten, entscheidende, vielleicht die entscheidendsten Aspekte seines Schaffens zu verpassen.

Die Book-Sites können auch andersherum funktionieren: Ist ein Werk beispielsweise nicht auf Dauerhaftigkeit angelegt, oder nur erschwert zugänglich – für beides ist die Land Art prädestiniert – so ist die Dokumentation in schriftlicher Form samt Abbildungen die einzige Quelle ihrer (ehemaligen) Existenz. Ein ähnliches Spannungsfeld entsteht zwischen Performance-Kunst und fotografischen Aufzeichnungen von Aktionen.

Smithson. Gesammelte Schriften, S. 61, „Vorhersagbares Modell für ein unvorhersagbares Projekt“.

So ist beispielsweise auf Seite 61 ein Werk zu finden, welches Smithson wahrscheinlich 1966 konzipierte und sich in seinem Nachlass befand. Es trägt den Titel Vorhersagbares Modell für ein unvorhersagbares Projekt und erscheint als optisches Gedicht aus Zahlenreihen in minimalistischer Ästhetik, verhandelt dabei aber ein existentielles Thema. Denn, obwohl das Modell einfach ist und sich rein logisch ergibt, bleibt der Ausgang offen: Zum einen, ob und wieweit die Zahlenreihen noch fortgesetzt werden können und zum anderen, da Smithson Ideen für seine Projekte aus der schriftlichen Arbeit generierte, welches Werk wohl aus diesem Blatt hervorgegangen wäre. Ein unrealisiertes Land Art Projekt mit der Bezeichnung Entwurf für Erdarbeiten und Landmarken an den Rändern des Regionalflughafens von Dallas – Fort Worth wird auf Seite 89 beschrieben. Das Konzept ist von 1967 und zeigt, dass Smithson bereits zu diesem Zeitpunkt monumentale Erdarbeiten geplant hatte, jedoch dauerte es noch bis 1969, bis er mit Asphalt Rundown sein erstes Projekt verwirklichen konnte. Auf den Seiten 144 bis 155 findet man die schriftliche und fotografische Dokumentation der Aktion Begebenheiten auf einer Spiegel-Reise in Yucatan, gegen Ende des Textes schreibt Smithson dazu: „Wenn jemand (was unwahrscheinlich ist) die Orte besucht, wird er nur Erinnerungsspuren finden, denn die Spiegel-Versetzungen wurden, nachdem sie fotografiert waren, sofort wieder abgebaut.“

Smtihson. Gesammelte Schriften, S. 89, „Entwurf für Erdarbeiten und Landmarken an den Rändern des Regionalflughafens von Dallas – Fort Worth“.


Smithson. Gesammelte Schriften, S. 146/147, „Begebenheiten auf einer Spiegel-Reise in Yucatan“.

Die Verbindung von Schrift und Werk als interpretatorisches und kontextualisierendes Angebot aufzufassen und auch zu nutzen ist demnach für das Verständnis von Smithsons Kunst zentral. Zugleich gilt es, die gesammelten Schriften eines Künstlers immer mit der gebotenen Vorsicht vor einer Monopolisierung oder Einengung zu rezipieren: Nur, weil jemand ein hervorragender Künstler ist, muss er nicht automatisch der geeignetste Impulsgeber für die diskursive Verortung seiner Kunst sein. Robert Smithson allerdings kam diesem seltenen Ideal verdächtig nah.

Dieser Beitrag setzt die Reihe der Book Sites fort – zur Einführung geht es hier.


Robert Smithson. Gesammelte Schriften, hrsg. von Eva Schmidt, Kai Vöckler, Köln 2000. ISBN 978-3-88375-388-1

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Book Sites. Teil 1 – Prolog

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Gesammelte Schriften und Collected Writings – Texte und Interviews.

Für Lawrence Weiner sind Bücher „das am wenigsten aufdringliche Mittel für die Übertragung von Informationen“ – so schrieb er 1976 und so ist es in seinen gesammelten Schriften zu lesen. Damit bezog er sich nicht nur auf das Medium des Künstlerbuchs, welches unter zeitgenössischen Künstlern eine erfrischende Selbstverständlichkeit ist Weiterlesen

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Errata Editions: A Little Appreciation

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Errata Jeffrey Ladd library

Pioneers often don’t receive the recognition for their achievements, certainly not the financial rewards and I suspect that is the case with Errata Editions, one of the most exciting imprints in the photo book publishing world. Founded in 2008, Errata Editions publishes books of educational and cultural value with a special focus on rare photography books.

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Books

The Stamp of Fantasy: The Visual Inventiveness of Photographic Postcards

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Die Fotografie als Motiv der Postkarte oder Postkarten als zu Grunde liegendes Format für Fotografie – dieser Ausstellungspublikation gelingt es, um beide Herangehensweisen einen gemeinsamen Rahmen zu spannen: Den des Einfallsreichtums. Der Stempel – oder passender auch die Briefmarke – der Fantasie haftet dabei jedem der abgedruckten Werke an. Der Band nähert sich dem Thema mit historischem Interesse, ausgehend vom Ende des 19. Jahrhundert, als Fotografie und Postkarte in den Kinderschuhen steckten und sich gegenseitig als Motor dienen konnten. Dabei steht nicht die Korrespondenz im Vordergrund, auch wenn das Medium Postkarte seinen Zweck spürbar nicht aus den Augen verliert, sondern vielmehr die Illustration der Motive und die mit ihr verbundene Kraft der Fantasie. Diese kann durchaus unterschiedliche thematische Bezüge haben: Die klassische Postkarte mit Stadtmotiv oder die mit lustigem Spruch passend zu einem bestimmten Anlass ist ebenso vorhanden wie humorvolle Abbildungen oder Aktfotografien oder heutzutage gänzlich aus dem Bewusstsein verschwundene Motive, wie das gestellte Familienfoto im Auto oder im Flugzeug. Selbst Sport und Liebe finden Platz auf den Vorderseiten.

Drei historische Entwicklungsstufen und unterschiedliche Formate der Postkarte werden im Buch unterschieden: Zunächst werden Postkarten präsentiert, die professionelle Verlage vor kommerziellem Hintergrund publizierten und die insbesondere durch ihre fantastische, oft humoristische Bildsprache bestechen. Kuriositäten treffen Porträts, Spruchkarten treffen solche mit künstlerischem Anspruch. Im Gegensatz dazu wirken die im Fotostudio, in einem kleineren Rahmen und in einer fast privaten Aufnahmesituation, entstandenen Postkarten bewusst gestellt und inszeniert. Den von Amateuren gefertigten Postkarten wiederum sieht man am deutlichsten ihre individuelle Herkunft sowie ihren persönlichen Zweck an: Beispielsweise füllen Collagen aus Texten, Bildern oder Zeichnungen sowohl Vorder- als auch Rückseite.

Nicht nur Werke renommierter Künstler, wie beispielsweise Salvador Dalí und Man Ray verdeutlichen die Funktion der Postkarte als Inspirationsquelle und Leinwand. Arbeiten weniger bekannter Künstler, die ebenso mit Bild- oder Text-Collagen, mit Coloration oder Fotomontagen experimentierten, unterstreichen die Bedeutung der Postkarte als breites Kommunikationsmittel. Dadurch wird ein weiterer Zweck des Mediums hervorgehoben: Die Postkarte als Sammlerobjekt. Zusammenhängende Motivreihen und die Darstellung ganzer Erzählstränge veranschaulicht die Sammelwut nicht nur der Künstler, sondern insbesondere der Massen.

Alle drei Kapitel des Werkes behandeln den Bezug ihrer Abbildungen zum Erfindungsreichtum, mag er einem wirtschaftlichen, einem persönlichen oder künstlerischen Anspruch entspringen. Eingerahmt wird diese Reise für den Betrachter durch Vorworte der Herausgeber sowie den Essay „The small change of art“ von Clément Cheroux. Dieser fasst die zuvor durch Abbildungen aufgezeigte Entwicklung der illustrierten Postkarten, im Besonderen der fantastisch und fotografisch gestalteten Postkarten, zusammen und bildet so für den interessierten Leser einen gelungenen und runden Abschluss.

The Visual Inventiveness of Photographic Postcards. Clément Chéroux, Ute Eskildsen (Hrsg.). Ausstellungspublikation. Fotomuseum Winterthur. Steidl 2007. Beiträge von Urs Stahel & Marta Gili. Englisch. 216 Seiten mit 345 s/w Abb. 29,7 x 29,7 cm. 2,1 kg. Fester Einband mit Schutzumschlag. 9783865216083. art-06639. Auch bei artbooksonline.eu