Drei Fragen an...

Rolf Sachsse

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Dieses Mal im Interview: Rolf Sachsse, Professor für Designgeschichte und -theorie an der HBK Saar. Als Fotograf und Autor setzt er sich in Ausstellungen und Publikationen seit Jahren intensiv mit Fotografien auseinander, mit seinen Texten hat er unzählige Fotobücher begleitet und bereichert. Da kamen wir nicht umhin, mehr als nur drei Fragen zu stellen.

1. Sie sind Professor für Designgeschichte und -theorie an der Hochschule der Bildenden Künste in Saarbrücken – welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach Designelemente beim Fotobuch?
Eine immens wichtige: Von der Auswahl des Formats über die passende Typografie zum Verhältnis von Bild zu Seite oder Doppelseite werden, solange es Fotobücher (und vorher wie nachher: illustrierte Bücher) gibt, die Entscheidungen zum Design für den langfristigen Erfolg wie Mißerfolg entscheidend sein. Für mein erstes großes Fotobuch, der Monografie zu Hugo Schmölz sen., suchte der geniale Buchgestalter Nick Herrmanns mit der Kabel von Rudolf Koch eine exakt passende Schrift aus – sie war im selben Jahr 1927 publiziert worden, aus dem auch die besten Bilder des Buches stammten. Das hat damals niemand verstanden, genauso wenig wie die unglaublich gute Gestaltung meiner ersten Monografie zu Lucia Moholy durch Gerd Fleischmann. Selbstredend gibt es Design-Moden auch bei Fotobüchern, und die allermodischsten Elemente haben jedes Jahr die Chance, beim Fotobuchpreis berücksichtigt zu werden, der Design nicht einmal oberflächlich zur Kenntnis nimmt. Da muss bloß das Cover knallen…

Jenseits aller Polemik plädiere ich für eine individuelle Gestaltung jeden einzelnen Fotobuchs. Das geht natürlich nicht, wenn das Töchterlein des Druckers nach sechs Semestern Studium zur Hausgrafikerin wird und mir etwas von der Corporate Identity ihres Verlags erzählt, oder wenn ein Verleger ein einmal extern bezahltes Design inhouse übernimmt und auf ewig kopiert. Pardon, das war schon wieder Polemik, daher hier nur die ganz demütige Feststellung und Bitte: Aus wirklich guten Fotografien und ihrem Narrativ ergeben sich die Eckpunkte eines guten Designs von selbst – man muss es nur erkennen und sich im Produktionsprozess als den Bildern dienend verstehen.

2. Ist ein Fotobuch für Sie Wertanlage, Kunstobjekt oder ‚Gebrauchsgegenstand‘?
Für mich in erster Linie ein Arbeitsmittel. Das schließt die Freude an guten Bildern, schönem Design, verständlicher Typografie und feinem Papier überhaupt nicht aus. Ich brauche meine Bibliothek um mich herum, um in ihr und mit ihr zu schreiben (wobei ich immer hoffe, dass das Geschriebene dann auch gern gelesen wird), aber auch um mir für Gedanken und Zusammenhänge Inspirationen zu holen – und zunehmend, um mich besser zu erinnern. Der Zustand meiner Bücher ist mir dabei herzlich egal, was gelegentlich diejenigen irritiert, die mich besuchen. Denen erzähle ich dann immer dieselbe Geschichte: Kurz nach dem rheinischen Erdbeben von 1993 fuhr ein schwerer LKW an meinem damaligen Arbeitszimmer vorbei, worauf mir rund 40 laufende Meter Fotobücher in den Rücken fielen, ohne mich ernsthaft zu verletzen. Seither habe ich nicht nur zu allen Büchern meiner Bibliothek ein mystisches Verhältnis, sondern gerade zu denen, die aus diesem Ereignis heraus Beschädigungen aufweisen.

Kunst im Sinn von Markt hat mich nie besonders interessiert, da ich weder Sammler noch Händler bin – für beide habe ich allerdings die größte Hochachtung und arbeite ihnen gerne zu. Aber wenn ich Bibliotheken besuche – von der des Trinity College in Dublin bis zu den wunderbaren Klosterbibliotheken Österreichs –, knie ich symbolisch nieder vor den langen Regalen mit den ledernen Buchrücken (und fotografiere dort genauso gern wie Candida Höfer); das ist das romantische Verhalten gegenüber der Kunst. Glücklicherweise bin ich wenigstens zeitweise intellektuell in der geradezu zauberhaft verwunschenen Bibliothek des Kunsthistorischen Instituts der Bonner Universität aufgewachsen und kann daher sagen, dass das Fotobuch eine Spezialität des illustrierten Kunstbuchs ist und von daher immer einen antiquarischen Wert haben wird.

3. Was macht Ihrer Meinung nach ein gutes Fotobuch aus?
Perfekte Bilder, ein schlüssiges Narrativ, ein wirkliches Thema, gute Gestaltung, ordentliches Papier und alles zueinander passend – so etwas gibt es ein bis zwei Mal im Jahrzehnt.

4. Brauchen FotobücherText?
Innen wie außen: Ja! Wer mich kennt und mir Aufträge für die Herausgabe und Betextung von Fotobüchern gibt, kennt mein Selbstverständnis als Verfasser von Gebrauchsanweisungen. Das schließt ein kritisches Verhältnis des Autors zu seinem Gegenstand nicht aus, ganz im Gegenteil: Was eine distanzierte Betrachtung aushält, wird jede Hürde im Verständnis überwinden, daher sind mir Nachworte lieber als Vorworte. Apologien, Hagiografien und jede Form von Superlativen haben in Fotobüchern nichts zu suchen. Wenn ich ein Fotobuch in der Hand habe, das mich interessiert, dann lese ich auch gern einige Worte dazu, um mich nicht vollkommen im Wald der visuellen Zeichen zu verlaufen. Und: Je nach Definition von Fotobuch sollte es mehr fotografisch gut illustrierte Bücher geben, die durchaus viel Text enthalten – doch noch scheint es nur Verlage zu geben, die Text drucken und solche, die Bilder drucken, und niemand macht beides gern. Das war vor sechzig/siebzig Jahren schon ganz anders.

Fast völlig verloren gegangen sind die äußeren Texte zu Fotobüchern: Eine Kritik, die diesen Namen verdient, findet fast nicht mehr statt. Mich hat die angelsächsische Plattenkritik der (Pop- und Avantgarde-)Musik in den 1970er Jahren geprägt, von Rolling Stone über NME (New Musical Express) bis zum Melody Maker. Noch heute lese ich lieber die Wire und die Neue Zeitschrift für Musik als jedes Fotoblatt, nur wegen der Kritiken. Texte über Fotobücher sind heute Teil des Marktgeschehens – was nicht passt, wird mit strafbewehrten Unterlassungserklärungen und anderen juristischen Freundlichkeiten weg gebombt, mehr denn je zuvor. Auch beim Fotobuch muss sich das ökonomische Engagement lohnen, also in Bildverkäufen oder Ausstellungskuratels verzinst werden, da ist jede Kritik nur lästig – letztlich ein Denkfehler, aber sehr verbreitet. Wissenschaftliche Rezensionen schreibe ich heute noch gern, für alle anderen Kritiken bin ich rein biologisch aus der Zeit gefallen – was nicht heißt, dass ich keine Meinung mehr habe.

5. Welches Fotobuch ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben und warum?
Um alle Erwartungshaltungen an die Leser*innen dieses Blogs zu erfüllen: Selbstredend ist das nächste Buch immer das wichtigste – doch in meinem Alter stimmt das schlicht nicht, dafür gibt es zu viele Erinnerungen. Und so fallen mir zunächst die schönen Bücher ein, die ich nie gemacht habe und wohl auch nicht mehr machen werde, weil sie jeweils vor dem Tod ihrer Protagonisten besprochen worden waren: ein Buch mit Reinhart Wolf über postmoderne Architektur und eins mit Helmut Newton über den Einfluss der NS-Ikonografie auf seine Arbeiten in den 1970er Jahren, bis zu den Grand Nues. Doch es gibt ein besonderes Buch, das nur partiell als Fotobuch zu bezeichnen ist:
Die Festschrift des Kölner Pharmakonzerns Madaus zum 50. Geburtstag 1969 in der Gestaltung von Peter Selinka mit Texten von Siegfried Leuselhardt und den Bildern von Barbara Schulten, die auch als Herausgeberin fungiert. Ein Onkel, der Arzt war, fragte mich (ich war gerade Lehrling bei Karl-Hugo Schmölz und Walde Huth), was ich davon hielt – es war vollkommen anders als alle anderen Fotobücher, die ich kannte: Laut, ruppig und scheinbar ungekonnt. Klar weiß ich heute, dass frühe Künstlerbücher aus der Fluxus-Bewegung mehr als nur Pate gestanden haben dabei, aber für mich hat das Buch damals den Blick auf die Fotografie geändert und meine Entscheidung für einen weiten Design-Begriff befördert.

6. Was würden Sie jungen Künstlern heute raten?
Nichts anderes als allen anderen Künstler*innen zu allen Zeiten auch: Verstehe Dich als Zeitgenoss*in, kommuniziere mit möglichst vielen Leuten in körperlicher Anwesenheit (denn nur so entsteht Kunst, wie man bei Hans Belting schlüssig nachlesen kann), und gib Dir selbst Zeit, Dein Ding zu machen! Mich haben schon manche Bildserien in eingeschweißten Ringbüchern mehr beeindruckt als quadratmetergroße Edelalben – es kommt auf den Kontext an. Das Wichtigste: Schau‘ Dir alle Moden Deiner Zeit an und verhalte Dich souverän dazu. [Das „Du“ steht hier nur, weil die Künstler*innen mindestens in unserer Hochschule sich alle so anreden, wenn es um die eigene Befindlichkeit geht.]

7. Was halten Sie von dem Begriff „Fotobuch“ als solchem?
Für mich war es erstaunlich, dass sich in den letzten drei/vier Jahren ein neuer Begriff herausgeschält hat, den ich noch nicht fassen kann. Das Buch als Buch als Kunstwerk – das ist eine Konstruktion wie die straight photography in den 1920er Jahren, und wenn sich der Begriff darauf bezieht, dann muss er noch mindestens ebenso viel Kritik vertragen lernen wie die Neue Sachlichkeit vor knapp hundert Jahren. Solange sich das neue Fotobuch in denselben Ritualen des reviews erschöpft, die ich für Kunst wie Wissenschaft als vollkommen irrelevant (weil nur Langeweile produzierend) ansehe, geht es mir hinter dem Rücken vorbei.
Aufregend finde ich alle Bücher, in denen bewusst Fotografie eingesetzt wird, und da zögere ich nie, den Begriff Fotobuch zu benutzen. D.h., dieser Begriff ist eine Zuschreibung von außen, die in jedem Fall neu diskutiert werden muss. Und bislang haben mich immer die Bücher mehr interessiert, in denen die Fotografie etwas vermittelt, das sich jenseits der Bilder und ihrer Privatheit in der Entstehung abspielt.

8. Was kommt nach dem Fotobuch?
Dasselbe wie vor dem Fotobuch: das bibliophile Vergnügen im Machen, Anschauen, Bearbeiten, Sammeln, Ausstellen und Vermitteln. Einzelstücke, kleine und kleinste Auflagen machen die Grenze zwischen Album und Buch – wo ist da eine? – noch offener als bisher, umgekehrt sind Distributionsverfahren wie Book on Demand noch gar nicht genug auf ihre Brauchbarkeit im Zeitalter sozialer Medien hin getestet worden. Die Zukunft des Fotobuchs liegt also weniger in ihrer technischen Entwicklung als in ihrer sozialen, gestalterischen und – von mir aus – künstlerischen Ausarbeitung.

Wir danken für das Gespräch!

Zur Homepage von Rolf Sachsse geht es hier entlang. Neben einer ausführlicheren Biografie findet sich dort eine Übersicht seiner Bücher und Texte, von denen einige auch als Download oder online verfügbar sind.

Eine kleine Auswahl von Büchern mit Texten von Rolf Sachsse gibt es auch hier bei artbooksonline.eu.

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