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Book Sites. Teil 4 – Richard Prince: Collected Writings

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Gesammelte Schriften und Collected Writings – Texte und Interviews.

„Nein, ich bin überhaupt nicht dazu geeignet, Schriftsteller zu sein. Ich habe nie etwas geschrieben.“
Richard Prince, Interview 1997

Während Robert Smithson und Lawrence Weiner in ihren Schriften damit ringen, ihr ästhetisches Konzept zu verdeutlichen und Missverständnisse auszuräumen, geht es Richard Prince scheinbar darum, sich fortlaufend selbst zu widersprechen. Unglaubwürdigkeit ist sein oberstes Ziel, zumindest auf einer vordergründigen Ebene. Obwohl Prince nur wenige Jahre jünger ist als seine beiden Künstlerkollegen, ist sein Umgang mit dem Medium Wort gänzlich konträr.

Die 2011 erschienene Sammlung umfasst laut Verzeichnis die Jahre 1967 bis 2009, müsste jedoch eher Selected Writings heißen, enthält sie doch nur eine Auswahl. Es sind jeweils wenige Seiten mit pseudo-biografischer oder rein fiktionaler Prosa. Kleine Geschichten aus Prince‘ Leben und über seine Arbeitsmethoden sowie Begegnungen mit anderen Künstlern, oder seine verborgenen beziehungsweise gelebten Wünsche, stets verbunden mit dem Blick auf die Massenkultur und ihren wirklichkeitskonstituierenden Einfluss. „Unbelievable and believable have become the same thing.“ (S. 71) Die Fiktion ist nicht weniger wahr als das tatsächliche Ereignis, denn es lässt sich schon längst nicht mehr bestimmen, wie man eines von beidem erkennt.

Nach den 215 Seiten weiß man jedoch deutlich mehr über die Künstler-(Kunst)Figur Prince, denn viele seiner Ansichten und Herangehensweisen schimmern immer wieder zwischen den Zeilen hindurch; obwohl sie scheinbar doch nur Details, Nebensächlichkeiten oder Profanes behandeln. Ein wiederkehrendes Thema ist die Einsamkeit des Individuums, nur ist sie nicht existentiell-heroisch à la Bruce Springsteen, sondern hat etwas Perverses. Die „Tramps“ und „Outsider“ suchen Zuflucht und vertreiben sich die Zeit in den billigen Pornokinos und Peep-Shows rund um den Time Square (Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre versteht sich). In Manier eines Nouveau Roman wird in Sex Picture von 1979 der 8mm Film Artists Ball beschrieben, den Prince jeden Donnerstag im Pussycat Theater „on Seventh Ave. and 47th Street“ anschaut. Zumindest wird dem Leser oder der Leserin suggeriert, dass Prince jene Beobachtungen macht, denn alle Texte sind in der ersten Person geschrieben.

Richard Prince – Collected Writings, Ostfildern 2011, Inhaltsverzeichnis S. 4/5.

Nur im Inhaltsverzeichnis sind die Texte datiert, dennoch meldet sich auch hier der Generalverdacht des Unaufrichtigen (Abb. S. 4 und 5). Denn nicht nur sind auf Prince‘ offizieller Homepage noch weitere Texte zu finden, auch sind einige abweichend datiert. Interpretations- und Glaubensfragen rücken nah zusammen.
Prince wird als Künstler mit der Appropriation Art und der Pictures Generation verbunden (benannt nach der Ausstellung Pictures von Douglas Crimp im Artist Space, New York, 1977). Er wird in die Nähe von Künstlerinnen und Künstlern wie Sherrie Levine, Robert Longo, Cindy Sherman, Louise Lawler oder auch Jeff Koons gerückt. Die kunsthistorische Sicht ist von den Theoretisierungen von Abigail Solomon-Godeau und Douglas Crimp zur Postmoderne in der Fotografie bestimmt. Prince – wie gewohnt in Frontalopposition – bemerkt dazu: „Ich hasse die Postmoderne.“

Die Aneignung (Appropriation) beschreibt dabei sein Verfahren, wenn er beispielsweise, wie in seiner berühmt-berüchtigten Cowboys Serie ab Beginn der 1980er Jahre, inszenierte Werbefotos der Tabakindustrie abfotografiert und ausstellt (Abb. S. 32). Während Crimp in diesem „Diebstahl“ eine entlarvende, subversive Haltung sieht, die dem Betrachter das Fiktionale dieser Szenen vor Augen führen soll, taucht in Prince’ Textfragmenten wiederholt eine gegenteilige und erweiternde Interpretation auf. Die inszenierte Werbefotografie hat eine „believable fiction“ geschaffen, ein kollektives Bildgedächtnis, welches auf Klischees aufgebaut ist. Ähnlich verhält es sich mit Filmszenen des Hollywoodkinos. Prince‘ Aneignung will eine doppelte Wendung herbeiführen: Die Filme und Werbebilder, genau wie das Leben in Magazinen, sind dermaßen schamlos fiktional, dass sie zur neuen „supernatural reality“ werden. Erleben wir solche Situationen, dann reagieren wir, konditioniert durch unser Bildgedächtnis und die Massenmedien, als lebten wir in einem Film oder einer Zeitschrift. Eine Konditionierung, die das tatsächliche Leben irreal erscheinen lässt. Solch bildtheoretische Überlegungen, lassen sich – zwischen Anekdoten über das Schwänzen der Arbeit und den Besuch einer Bar – in seinen Geschichten herauslesen.

Richard Prince – Collected Writings, Ostfildern 2011, S. 32/33.

Im Text The Counterfeit Memory (1981) gibt es auch eine pragmatische Erklärung, woher die Faszination für die „autorlose“ Werbefotografie kommt. Er war bei der Time-Life Redaktion in der Abteilung „Tear Sheets“ angestellt, um während der Nachtschicht alle Seiten der Magazine herauszureißen, damit sie nach Bedarf im Haus verteilt werden konnten – nur die Werbung blieb zur freien Verfügung übrig. Wahrscheinlich eine weitere Legende, die Prince verbreitet, jedoch sehr aufschlussreich für die Arbeitsweise des Künstlers Richard Prince: Die für ihn omnipräsente Bildwelt des Konsums, die immer etwas Perfektes hatte, musste nur noch reproduziert werden.

Als Book-Site ist der gesamte Inhalt der Geschichten zu interpretieren, nicht bloß die vermeintlich wahren Aussagen oder die theoretischen Subtexte. Denn anders als bei Smithson oder Weiner, die wohl jedes Wort bitterernst meinen, spielt Prince unablässig mit Affirmation und Negation. Er ist gleichzeitig asozialer Voyeur, der die Schönheit der Werbung wertgeschätzt wissen will und scharfsinniger Bildtheoretiker, der Phänomene unserer Lebenswelt diagnostiziert. Ein ambivalenter Status, der seine Kunst zugänglicher macht, da man sich bei ihr zwischen plumpem Diebstahl und lakonisch genialer Konterrevolution nie wirklich entscheiden kann. Dabei schaffen es seine geschriebenen Worte, die Book-Sites, dies als ästhetisches Prinzip zu zeigen. Ein Zustand, der gar nicht aufgelöst werden muss, da von ihm die Spannung ausgeht. Eine Lektüre seiner Collected Writings bringt immer nur einen von vielen Richards hervor, und dies scheint vollends beabsichtigt.

Richard Prince – Collected Writings, Ostfildern 2011, S. 140/141.

Seine Ablehnung gegen alle Festschreibungen zeigt sich symptomatisch an Guns and Poses von 2004 (Abb. S. 140). Vermutlich, da Prince‘ ästhetische Vorgehensweise oft mit der Pop Art Warhol’scher Ausprägung verglichen wurde, setzt er sich in den schärfsten Kontrast zu Andy Warhol. Keine Parallelen lassen sich zwischen den Beiden finden: „Andy was a good photographer; I’m the worst photographer in the world.“ Jener Text schließt damit, dass die Künstler sich im Wartezimmer ihres gemeinsamen Zahnarztes treffen und die Hand geben – demnach gibt es selbst in der Welt von Richard Prince manchmal ein Happy End.

Dieser Beitrag ist Teil der Book Sites-Reihe. Hier geht es zu Teil 1 (Prolog), Teil 2 (Robert Smithson) und Teil 3 (Lawrence Weiner).


Richard Prince – Collected Writings, hrsg. von Kristine McKenna, Ostfildern 2011.
ISBN 978-3-7757-3176-8

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